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Idee des Staatsvertrages und der Volkssouveränität am reinsten
Genüge tut. Seitdem in Deutschland und Österreich äußerste De-
mokratie Platz griff, ist dies allgemein bekannt. Jedoch muß man
sich klarmachen, daß auch unsere Demokratien noch immer nicht
das letzte Ideal erfüllen, insofern wir von früher noch eine große,
fest im Sattel sitzende Beamtengewalt haben, die nach dem Grund-
satze der Sachverständigkeit, nicht nach dem der Wahl und Partei-
zugehörigkeit, bestellt wurde. Den Amerikanern, zum / Teil sogar
den Schweizern, würde diese Einrichtung gar nicht behagen. Noch
weitergehende Demokratie als selbst die Amerikaner hatten die
alten Griechen, wo (so in Athen) Feldherrn und Beamte einfach
ausgelost wurden — das folgerichtigste Bestellungsverfahren bei
vorausgesetzter Gleichheit.
Woher nehmen wir nun die Maßstäbe für die Kritik des politi-
schen Individualismus? Daß der Individualismus als Gesellschafts-
theorie ein Grundirrtum sei, haben wir ausführlich nachgewiesen
1
.
Das zu wiederholen, wäre überflüssig. Hier gilt es, die Schäden und
Schwächen des p o l i t i s c h e n Individualismus zu erkennen. Als
politisches System nun ist der Individualismus nichts anderes als eine
bestimmte Organisationsform des Staates. In den Organisationsfor-
men und -aufgaben selbst liegen daher die Maßstäbe der Prüfung.
Um diese Untersuchung führen zu können, müssen wir zuerst
eine Vorfrage beantworten: Ist „Organisation“ für Individualismus
und Universalismus das gleiche? Oder allgemeiner: Welcher ist der
Aufgabenkreis dessen, was man „Organisation“ nennt, universali-
stisch und individualistisch aufgefaßt?
„Organisation“ heißt im universalistischen Sinne (soziologisch ge-
faßt): einen Vorgang geistiger Gemeinschaft oder gemeinsamen
Handelns („Genossenschaft“) dadurch zu veranlassen, zu formen, zu
erleichtern und in seiner Wiederkehr zu sichern, daß ihm die nöti-
gen äußeren und inneren Hilfsbedingungen und Hilfsmittel darge-
boten werden. Der Bildungsverein z. B. ist eine Organisierung des
Handelns zum Zwecke der Veranlassung (Bildung) geistiger Verge-
meinschaftungsvorgänge etwa: Bestellung des Vortragenden, Vor-
sorge für die Einladung der Besucher, für den Vortragssaal, Licht,
Heizung, Tafel, Kreide, Skioptikon, Bücherei und dergleichen.
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Siehe oben S. 72 ff.