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Jeder, der die Augen offen hat, sieht deutlich den Schlangenkreis

der demokratischen Logik: Es wird ein Herrschaftselement voraus-

gesetzt, der Volkswille, noch ehe er da ist; es wird die Herrscher-

kraft der Führer abgeleitet von dem, was vorher und ohne sie gar

nicht ist, vom Volkswillen. Statt daß die Leute den Führern sagen,

was sie zu machen haben, sagen die Führer den Leuten, was sie

w o l l e n s o l l e n .

Z u s a t z z u r d r i t t e n A u f l a g e

Daß die Einzelnen in aller Regel keinen politischen Willen haben, kann man

sich klar machen, wenn man annimmt, die Volksbefragung erfolge plötzlich.

Würde z. B. am Kärntner Tor in Wien oder am Potsdamer Platz in Berlin zur

Mittagszeit ein Hornzeichen „Halt“ ertönen und daraufhin viele tausende stehen

bleiben, wie / könnte die „Wahl“ dann aussehen? Würden alle Einzelnen nach der

Reihe gefragt und etwa die Wahl, wie eine der letzten in England, unter dem

Stichworte „Freihandel oder Schutzzoll?“ stehen, so würden die allermeisten auf

die Frage, ob sie für Freihandel oder Schutzzoll stimmen wollen, k e i n e A n t -

w o r t g e b e n k ö n n e n . Der Eine würde überhaupt nicht wissen, was

„Freihandel“ sei; der andere vielleicht antworten: „Ich bin Schlossermeister und

kann Ihnen einen Schlüssel machen, aber für diese Frage habe ich keinen Schlüs-

sel“; der Dritte, etwa ein berühmter Chirurge: „Es ist lange her, daß ich mich

mit diesen Fragen befaßte. Ich bin viel beschäftigt und weiß zu wenig von volks-

und weltwirtschaftlichen Dingen, um dieses Geschwür aufzuschneiden“, usw. Wer

bleibt übrig von denen, die überhaupt eine Meinung — sei es nun eine richtige

oder nicht — haben k ö n n e n ? Eine Handvoll Sachverständiger, z. B. Wirt-

schaftsführer, Geschäftsführer von Wirtschaftsverbänden, Fachbeamte, Fachge-

lehrte, kurz Menschen, die sich beruflich mit jener Frage zu beschäftigen haben

— Sachverständige: Ähnlich wäre es, wenn in einer Maschinenbauschule die Schü-

ler über den Lehrplan und die Zahl der abzuliefernden Zeichnungen abstimmen

sollten. Der Wille dieses, um ihn so zu nennen, Schul- und Maschinenbaustaates

wäre nicht zu bilden, weil die einzelnen Bürger keinen Willen haben. — Da

der W i l l e d e s S t a a t e s a u s d e m „ ü b e r e i n s t i m m e n d e n W i l -

l e n d e r E i n z e l n e n “ n i e z u b i l d e n w ä r e , w e i l s i e k e i n e n

h a b e n k ö n n e n , m ü s s e n s i c h F ü h r e r g r u p p e n b i l d e n ,

d i e

e i n e n W i l l e n f a s s e n u n d i h n d e r g r o ß e n M e n g e a u f d r ä n -

g e n , d i e p o l i t i s c h e n P a r t e i e n . Daher das vielverzweigte Werbe-,

Versammlungs- und Bestechungswesen, das man „Wahlen“ nennt. Die politischen

Parteien aber sind keine e r z o g e n e n F ü h r e r s c h a f t e n , wie etwa die

O f f i z i e r e im Heere, die P r i e s t e r in der Kirche, die B e a m t e n im

Staate, die T e c h n i k e r in der Wirtschaft, sondern w i l d g e w a c h s e n e

F ü h r e r s c h a f t e n

1

.

Das wahre Verhältnis von Volk und Führer hatte G o e t h e im

Auge, als er sagte: Die Volksseele, die Volkheit besitzt „einen Willen,

1

Z u s a t z z u r v i e r t e n A u f l a g e : Auch die Parteien müssen noch

durch ein Fachkollegium, die B e a m t e n , ergänzt werden, damit überhaupt

Staatsleben möglich sei. Vgl. unten S. 270 f.