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Unter den V e r t e i d i g e r n der Demokratie ist neuerdings
Kelsen hervorgetreten
1
. Kelsen macht für die Demokratie zuerst gel-
tend, sie ermögliche auf breitester Grundlage die Auswahl der Füh-
rerpersönlichkeiten. Nicht wenige bevorrechtete Schichten der Be-
völkerung seien es nunmehr, die die Führer liefern, z. B. der Adel,
sondern weil die ganze Masse des Volkes selbst in das politische Le-
ben hineingezogen werde, stehe auch jedem der Wettbewerb um die
politischen Führerstellen offen. Ferner sagt Kelsen, die Demokratie
sei diejenige Organisationsform des Staates und des politischen Le-
bens, die am meisten fähig ist, Minderheiten aufzunehmen; es be-
steht „die Möglichkeit jeder politischen Überzeugung, sich zu äußern
und im freien Wettbewerbe um die Gemüter der Menschen geltend
zu machen“
2
. Die Minderheiten erhalten ihre eigenen Vertreter, sie
können überall ihren Standpunkt zur Geltung bringen. Dadurch
werde ein gesunder Zustand im politischen Leben geschaffen. Die
anti-demokratischen Systeme hingegen könnten die Minderheiten
nicht in sich aufnehmen.
Sind diese Beweisgründe stichhaltig? Betrachten wir zuerst die
„Auswahl der Führer auf breiter Grundlage“. Um hier richtig zu ur-
teilen, muß man doch erst fragen: Wer wählt denn aus? Hier liegt
nun gerade eine unheilbringende Schwäche der Demokratie. Die
meisten Aussichten, Führer zu werden, hat, wer auf die niederen In-
stinkte der Masse rechnet. Gerade daß die Masse es ist, die geführt
werden soll, begünstigt die niederen Führerqualitäten, die ganz
äußerlichen Rednertalente und Lärmmacher, und zwingt ferner die
gegeneinander wetteifernden Führer, sich in ihren Versprechungen
zu überbieten: auf P e r i k i e s f o l g t K l e o n , auf „rechts"
folgt „links“, auf „gemäßigt“ „radikal“, weil es leichter ist, die große
Masse durch Überschreien und Uberbieten zu gewinnen als durch
sachliches Abwägen und kühle Wahrheit. Es gilt allgemein: I n d e r
D e m o k r a t i e d r ä n g t d e r i n n e r e M e c h a n i s m u s
d e r F ü h r e r b e s t e l l u n g d a h i n , d a ß d e r r a d i k a l e r e
F ü h r e r d e n g e m ä ß i g t e n , der auf niederen Instinkten der
Menge fußende Führer den auf Einsicht und Gedanken fußenden
Führer verdrängt. Das bestätigt die Geschichte, das bestätigt ebenso
1
Hans Kelsen: Sozialismus und Staat, Leipzig 1920.
2
Hans Kelsen: Sozialismus und Staat, S. 128.