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deutlich die Gegenwart. Geschichtlich sehen wir in der Regel, daß

die Demokratien bei ihrer ersten Entstehung, wo eine hilfsbedürf-

tige Masse gehoben werden soll, große Führer finden, die Mäßigung

und aufbauende Kraft besitzen, z. B. Perikies, die Gracchen. Dann

aber kommt der Gerber Kleon, dann kommt die Masse, die Ge-

richtsgelder haben will, die nach Zirkusspielen und Brot schreit

(„panem et circenses“). Die besseren Führer müssen unfehlbar die

Zügel verlieren. Gerade heute / haben wir von diesen Dingen genug

erlebt. Der B u d a p e s t e r B o l s c h e w i s m u s ist von Füh-

rern gemacht worden, die großenteils Verbrecher, ja zum Teil ge-

radezu Lustmörder waren, während die redlichen rechtssozialisti-

schen Führer abtreten und froh sein mußten, wenn sie mit dem Le-

ben davon kamen. In M ü n c h e n war das noch deutlichere Schau-

spiel zu erblicken, wie die Rechtssozialisten durch Linkssozialisten,

diese durch Halbbolschewiken, diese durch blutrünstige Verbrecher-

„Kommunisten“ Schlag auf Schlag verdrängt wurden. Aus der fran-

zösischen Revolution ist dasselbe Schauspiel bekannt. — Indem sich

auf diese Weise deutlich zeigt, wie im Fortgang der Dinge der Nie-

dere den Höheren notwendig verdrängt, zeigt sich auch dasselbe,

was wir oben als im Grundsatz der Gleichheit liegend fanden

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umgekehrter Machiavellismus, in w e l c h e m d e r N i e d e r e

d e n H ö h e r e n b e h e r r s c h t . Zuerst haben Nietzsche und

sein Stiefelputzer die gleiche Stimme, der Höhere wird herab-

gedrückt, unterworfen. Aber weiter: auch der Lumpenproletarier

hat dieselbe Stimme wie der ehrliche Stiefelputzer. Wenn dieser zu-

erst den Lumpenproletarier zu sich emporhebt, so bleibt es dabei

doch nicht lange; bald hat der Niedrigste die Oberhand und unter-

wirft nun den, der ihn zuerst emporhob.

Die Lehre von der „Führerauswahl auf breiter Grundlage“ irrt gänzlich.

Gerade die Auswahl der Führer ist einer der dunkelsten Punkte der Demokra-

tie. In aller Hierarchie dagegen wird der untere Führer von höheren bestellt

und erzogen, die Sachverständigen haben hier das Wort. Auch der absolute Fürst

sucht sich zu Staats- und Heerführern grundsätzlich nur sachlich und fachlich

geeignete Männer aus. Vielleicht hat er kein Glück damit, aber geradewegs auf

unfähige Leute, die auf die niedrigsten Instinkte des großen Haufens lauern,

wird er nie verfallen, oder auch nicht dadurch Schlachten verlieren, daß er jeden

Tag dem Lose gemäß einem anderen Feldherrn die Führung übertragen läßt,

wie es die Athener taten. Diese Männer sind verantwortlich, und zuletzt ist es

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Siehe oben S. 64 f.