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ungeheuerlicher als seine landwirtschaftliche Rechnung ist seine gewerbliche Rech-
nung. Er führt hier eigentlich nur eine Berechnung der Arbeitskräfte vor, er
gibt nicht einmal eine Untersuchung der künftigen Rohstoffbilanz, ja die unge-
heure Rohstoffeinfuhr Deutschlands wird kaum berücksichtigt. Auch die Bilanz
der Arbeitskräfte selber ist aber leichtsinnig genug aufgestellt. Jeder Mann
braucht nur sechs Jahre zu arbeiten, um ein ganzes Leben faulenzen zu können
— wo kommen da Fachärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure, höhere Beamte, Mittel-
und Hochschullehrer her, die doch allein schon eine mehr als sechsjährige Aus-
bildung (über die normale Schulpflicht hinaus) durchmachen müssen? Ballod will
die Verteilung nach dem „Rechte auf den vollen Arbeitsertrag“ gestalten (nicht
nach Gleichheit), er meint offenbar, daß die höheren Einkommen, die er den
geistigen Arbeitern zuteilt, einen Anreiz zu jener Kraftentfaltung und Anstren-
gung geben, die für die Ausbildung in einem geistigen Berufe nötig ist. Das wäre
ja zur Not ein Standpunkt, über den sich reden ließe, wenn die Arbeitspflicht-
Zeit nicht wesentlich kürzer wäre als die Ausbildungszeit. Jedes Kind weiß doch,
daß ein Facharzt oder ein hochqualifizierter Techniker, ein höherer Wirtschafts-
leiter, ein höherer Richter allein nach Beendigung des Gymnasiums mindestens
sechs bis acht Jahre auf der Hochschule, der Klinik, in der Vorpraxis zubringen
muß, um auch nur seine Ausbildung einigermaßen zu beendigen. Sollen nun sol-
chen 6—8 oder 12 Jahren noch die 6 Jahre Arbeitspflicht folgen? — Das Ganze
ist um so widerspruchsvoller, als Ballod bei all’ dem voraussetzt, daß seine land-
wirtschaftlichen und großgewerblichen Betriebe grundsätzlich nur von akademisch
gebildeten Fachleuten geführt werden.
Nun könnte man vielleicht diese und ähnliche Irrtümer solcher
Berechnungen einzelnen Fehlern, Unterlassungen oder Sonder-
Narrheiten der betreffenden Verfasser zuschreiben. Damit auch die-
ser Einwand jeden Schein von Beweiskraft verliere, wollen wir noch
auf das G r u n d s ä t z l i c h e dieser Irrtümer eingehen.
Als Grundfehler steht an erster Stelle die Annahme der unbe-
dingten Überlegenheit des Großbetriebes über den Kleinbetrieb
und, was zum Teil aber nicht dasselbe ist, des intensiven Betriebes
über den extensiven. Dagegen muß es als das Abc des volkswirt-
schaftlichen Theoretikers ausgesprochen werden, daß nur e i n e
v e r h ä l t n i s m ä ß i g e V o r z ü g l i c h k e i t d e r B e t r i e b s -
a r t e n b e s t e h t , also keine unbedingte Überlegenheit des gro-
ßen Betriebes über den kleinen oder des Riesenbetriebes über den
großen, noch auch des intensiven über den extensiven. Für die
Landwirtschaft ist bekannt, daß keine Betriebsgröße der anderen
schlechthin überlegen ist, sondern daß für gewisse Fruchtarten und
Erzeugnisse jeder Betrieb seine gesonderte Leistungsfähigkeit be-
sitzt. Und was die Betriebsarten anlangt (ob Getreide-, Vieh-, Wald-
wirtschaft), so hat Thünen unwiderleglich ihre nur verhältnismäßige
Gültigkeit nachgewiesen („Thünensches Gesetz“). In der Landwirt-