256
[184/185]
3. Der Staat als Stand
Der Staat ist nicht die einzige Organisation des Lebens, nicht die
Gesamtorganisation (wie es im Sinne der Lehre vom Urvertrage
liegt), sondern ein anstaltliches Gebilde, das nur einen bestimmten
Aufgabenkreis in sich schließt. Als anstaltliches Gebilde neben an-
deren anstaltlichen Gebilden ist er aber ein S t a n d , also wohl
Mitte, nicht aber die einzige Mitte anstaltlichen Handelns. Ist der
Staat ein Stand, so ist er doch nicht bloßer Stand unter Ständen,
sondern ein durch seine umfassende Art vor anderen ausgezeichne-
ter Stand. / Wie im Bereiche des Geistigen durch den Vorrang des
Metaphysischen die Einheit gesichert ist, so muß auch im Bereiche
des Handelns durch den Vorrang einer Anstalt (Organisation) die
Einheit gesichert werden. Der Staat ist nämlich a l l g e m e i n s t e
Anstalt, als solche ist er der Potenz nach (wenngleich niemals ak-
tuell) Inbegriff aller Anstalten; und in diesem Sinne des Vorranges
ist er E i n h e i t s e r s c h e i n u n g . Als allgemeinster und die
Einheit alles Handelns verbürgender Stand ist er aber auch
H ö c h s t s t a n d , das heißt Leiter und Richter aller anderen
Stände.
„Höchststand“, „allgemeinster Stand“, „Einheitserscheinung“ sind
Wechselbegriffe, die dem Vorrange des Staates entspringen. Denn
„allgemeinster Stand“ will nicht sagen, daß er alle anderen Stände
schlucke und der einzige Stand sei, der alles an sich ziehe, sondern
nur, daß er sie überhöhe. Die sogenannte „Omnipotenz“ des Staa-
tes, die von manchen Lehrern verfochten wurde, kann nie aus uni-
versalistischen Vordersätzen abgeleitet, sie kann nur aus der indivi-
dualistischen Unmittelbarkeit und Zentralisation her begründet
werden
1, 2
. Wird dagegen der Staat selbst nur als Stand aufgefaßt,
so kann auch nicht mehr allein von einer Herrschergewalt des Staa-
tes, der „Staatssouveränität“, gesprochen werden. J e d e r S t a n d
h a t s e i n e a r t e i g e n e H e r r s c h e r g e w a l t („Souveräni-
2
1
Siehe oben S. 226 f.
2
Z u s a t z z u r 4 . A u f l a g e : Die jüngste „ L e h r e v o m t o t a l e n
S t a a t e “ übersieht, daß der Staat ein Stand ist, macht ihn fälschlich zur ein-
zigen Mitte des Lebens und gelangt so unseres Erachtens in bedenkliche Nähe
zum zentralistisch-liberalen Staatsbegriffe (das heißt zum individualistischen
Naturrechte) aber auch zum marxistischen Kollektivismus, sofern dieser ebenfalls
zentralistisch ist.