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ist der erste Schritt auf dem Wege vom Interessenverband zum
Berufstande
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.
Es scheint mir gewiß, daß die richtige, unmittelbare Fortentwick-
lung des durch den Tarifvertrag hervorgerufenen Zustandes darin
besteht: d u r c h g e s e t z l i c h e S c h a f f u n g v o n b e r u f -
l i c h e n Z w a n g s v e r b ä n d e n m i t d e r V e r p f l i c h -
t u n g , T a r i f v e r t r ä g e z u s c h l i e ß e n , d e n z ü n f t i -
g e n B e r u f s t a n d i n a l l e r F o r m z u o r g a n i s i e r e n .
Diese Forderung ist der Entwicklung unserer Wirtschaft so angemessen, daß
sie denn auch durchaus nichts Neues darstellt. Nicht nur die Mittelstandsbewe-
gung kennt sie in verschiedenen Formen, sondern von sozialpolitischer Seite hat
schon vor Zeiten ein Kenner dieser Sonderverhältnisse wie Lujo Brentano vor-
geschlagen, es mögen Zwangsorganisationen sowohl der Unternehmer, wie der
Arbeiter geschaffen werden, deren Aufgabe es ist, Kollektivverträge zu schließen.
Freilich darf es dabei nicht bleiben. Erst die organische Zusammenfassung der
Unternehmer- und Arbeiterverbände zum dauernden G e s a m t v e r b a n d ,
der auch andere Aufgaben übernimmt und dadurch sowie durch sein organisches
Verhältnis zu den Vor- und Nachberufen zum B e r u f s t a n d e wird, vollendet
das so geschaffene Gebäude.
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Sind die B e r u f s t ä n d e o d e r m o d e r n e n Z ü n f t e ,
wie wir sie schlankweg nennen wollen, geschaffen, so werden, wie
schon angedeutet, die Unternehmer und die Arbeiter je eigene, ver-
hältnismäßig selbständige U n t e r a b t e i l u n g e n o d e r U n -
t e r v e r b ä n d e in dieser Gesamtorganisation der Zunft bilden.
Überall, wo die Sache so steht, daß kräftige Gewerkschaften und
wenigstens Ansätze zu Unternehmervereinigungen vorhanden sind,
kann an die Bildung jener Zünfte, als Berufs-Zwangsverbände, so-
fort geschritten werden. Die Beschlüsse der Zunft, wie die ihrer Un-
terabteilung, wären grundsätzlich von der Oberbehörde zu über-
wachen.
Die Zunftbildung ist heute wegen der Vielfältigkeit von Berufs-
verrichtungen, die in den meisten Betrieben der Großindustrie ver-
einigt sind, nicht mehr so einheitlich möglich wie im Mittelalter. In
der Großindustrie, aber auch in manchen handwerklichen Gewer-
ben, z. B. im Baugewerbe, sind regelmäßig mehrerlei Berufe ver-
einigt; daher wird es zumeist noch außer den reinen Berufsverbän-
den zu übergeordneten Gesamtverbänden kommen müssen. Wenn
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Zusatz zur 4. Auflage: Vgl. dazu meinen Aufsatz: Vom Interessenverband
zum Berufstande, in: Kämpfende Wissenschaft, Jena 1934, S. 13 ff.; jetzt:
2. Aufl., Graz 1970, S. 19 ff. (= Othmar Spann Gesamtausgabe, Bd 7).