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Von der P r e i s b i l d u n g a u s w e r d e n a l l e W i r t -
s c h a f t s v o r g ä n g e e r k l ä r t — damit ist der systematische
Aufbau aller individualistischen Theorien bezeichnet.
So wenig die Preis- und Verteilungslehre bei Smith, Ricardo,
Marx befriedigt, so wenig ist sie Mengern, Böhm-Bawerken oder
auch Casseln gelungen. Welche Vorbehalte und Einklammerungen
aber man auch versuchte, die Systemgedanken, nämlich den Aus-
gangspunkt vom Einzelnen mit seinem Eigennutz und die Preis-
theorie als Schlüssel des Begriffsgebäudes, suchte man dennoch über-
all auf rechtzuerhalten. Je mehr die Theorien ausgebildet wurden,
um so weniger stimmen sie. Und wenn schon bisher keine Preis-
theorie gelang, wie sollte daraus je eine richtige „Verteilungstheorie“
werden? Aber der Systemgedanke des Individualismus bleibt immer
nur die Preistheorie, auf ihr ruht die Verteilungstheorie.
Bisher zeigte sich die individualistische Wirtschaffstheorie als
n i c h t auf einer bestimmten Zweckeinstellung und Gesinnung
beruhend, sondern auf reiner Zergliederung, denn / selbst der
„Eigennutz“ will keine Gesinnung predigen, sondern rein analyti-
scher Befund sein. Erst aus dem analytischen Befunde, erst aus der
Wesenserkenntnis folgt das Ziel, die Wertsetzung. J e d e e c h t e
E r k e n n t n i s i s t w e r t s c h ö p f e n d
1
. Daher ergab sich auch
den individualistischen Theoretikern aus ihren zergliedernden We-
senserkenntnissen eine eindeutige W i r t s c h a f t s p o l i t i k . Eine
solche sehen wir schon deutlich bei Quesnay. Als ihn der König,
dessen Leibarzt er war, fragte, was in der damaligen schlimmen
Wirtschaftslage Frankreichs zu tun sei, antwortete er: „Nichts,
Sire.“ Das entsprach dem Grundsatze der Wirtschaffsfreiheit:
„Laissez faire, laissez passer, le monde va de lui-même.“ Subjektive
Wertungen waren für diesen Grundsatz nicht maßgebend. Wie ge-
sagt, entspringt auch die liberale Volkswirtschaftspolitik aus der
* S.
1
Den Nachweis, daß das S o l l e n a u s d e m S e i n e r k a n n t
w e r d e und daß daher eine sogenannte „wertfreie Wissenschaft" in Wirt-
schaft und Gesellschaft unmöglich, vielmehr nur eine falsche Übertragung
mathematisch-physikalischen Denkens auf die Geisteswissenschaft sei,
führte ich in meiner Kategorienlehre (= Ergänzungsbände zur Sammlung
Herdflamme, Bd 1), Jena 1924, S. 99 ff. und 332 ff. [2. Aufl., Jena 1939,
S. 104 ff. und 376 ff.]. — Vgl. auch meine Gesellschaftsphilosophie (Handbuch
der Philosophie, herausgegeben von Alfred Baeumler und Manfred Schröter),
München 1928, S. 117 ff., und unten, Fünfte Abhandlung, S. 321 ff.