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terhin keine grundsätzliche Rolle in der nationalökonomischen Un-
tersuchung Roschers spielt, ist der erstere von größerer Wichtigkeit.
In dem Bestreben, die M o t i v e des wirtschaftlichen Handelns in
einer Weise zu bestimmen, welche der empirischen Wirklichkeit
näher kommt, deckt sich Roscher mit dem, was später bei Wagner
und Schmoller als eine besondere M o t i v a t i o n s t h e o r i e
zur Ausbildung kommt (und worauf wir gleichfalls später erst ge-
nauer eingehen werden)
1
. Damit kommen wir auf die j ü n g e r e
h i s t o r i s c h e S c h u l e , die auf der gleichen prinzipiellen Basis
wie Roscher steht
2
, wenn auch die Prinzipien ihres historischen Ar-
beitens vielfach andere, vor allem strengere und festere sind. Als ihr
wichtigster Vertreter ist G u s t a v S c h m o l l e r anzusehen.
Schmoller ist sich über die grundlegende Wichtigkeit des Verhält-
nisses von Wirtschaft und Gesellschaft völlig klar. Für ihn ist „die
allgemeine heutige Nationalökonomie ... philosophisch-soziologi-
schen Charakters. Sie geht vom Wesen der Gesellschaft und den all-
gemeinen Ursachen des wirtschaftlichen Lebens und Handelns
aus.. .“
3
„Indem die Volkswirtschaft sich als ein relativ selbständiges
System entwickelte ... wurde das volkswirtschaftliche Leben für die
Vorstellungen der Menschen ein begrifflich von Staat und Recht...
[etc.] getrenntes Gebiet. Freilich vollzog sich die Trennung mehr in
den Gedanken der Menschen, als in der Wirklichkeit. Denn die wirt-
schaftenden Personen blieben nach wie vor Bürger ... des Staates,
Glieder der Familien ..., sie handelten auch wirtschaftlich nach wie
vor in der Regel unter dem Impuls aller der Gefühle und Triebe ...
1
Übrigens berühren sich diese motivationstheoretischen Bestrebungen eng mit
der Auffassung der Nationalökonomie als einer ethischen Wissenschaft, und es
sind daher hier neben Roscher zu nennen: F r i e d r i c h B e n e d i k t W i l -
h e l m v o n H e r m a n n : Staatswissenschaftliche Untersuchungen (1832), 2. Aufl.,
München 1870 (vgl. S. 12—19; Hermann verweist den Gemeinsinn allerdings in
das Gebiet der Volkswirtschafts p f l e g e ) ; B r u n o H i l d e b r a n d : Die Na-
tionalökonomie der Gegenwart und Zukunft, Frankfurt am Main 1848; C h r i -
s t i a n W . S c h ü t z : Das sittliche Moment in der Volkswirtschaft, in: Zeitschrift
für die gesamte Staatswissenschaft, Bd 40, Tübingen 1884; G u s t a v C o h n :
System der Nationalökonomie, Bd 1, Stuttgart 1885, S. 72 ff. und 381 ff.
2
Die Beurteilung der Problematisation und des Lösungsversuches Roschers ist
daher in der folgenden Untersuchung der jüngeren historischen Schule ein-
geschlossen.
3
Gustav Schmoller: Artikel Volkswirtschaftslehre, in: Handwörterbuch der
Staatswissenschaften, Bd 6, 1. Aufl., Jena 1894, S. 531.