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der nahe am Verdursten plötzlich zehn Glas Wasser erhielte, von
jedem Glase einen anderen, und zwar einen gleichmäßig abnehmen-
den Nutzen haben. Das erste Glas, so könnte man etwa sagen, ret-
tete das Leben, das zweite verhinderte eine schwere Schädigung der
Gesundheit, das dritte stillte ein allerdringendstes Bedürfnis der
Sättigung, das vierte ein noch sehr dringendes, aber schon minder
bedeutsames usw. bis zum zehnten, von dem wir annehmen wollen,
daß es eben noch eine ganz geringe Sättigung (Zielerreichung) ge-
währte. Was darüber wäre, ein elftes und zwölftes Glas, wäre von
Übel. Der Nutzen des jeweils letzten der Sättigung dienenden
Glases, z. B. des zehnten bei einem Vorrate von zehn, des fünften
bei einem Vorrate von fünf, ist der „letzte Nutzen“, wie ihn Carl
Menger nannte, oder der „Grenznutzen“, wie ihn von Wieser
nannte.
Von Carl Menger und seinen Schülern wurde nun daraus als
das Grundgesetz der Werttheorie abgeleitet: daß die Güter eines
Vorrates nach dem Nutzen der letzten Einheit, dem Grenznutzen,
geschätzt werden.
Für die Grenznutzenlehre waren die Hauptfragen nun überall
folgende:
1. Welche subjektiven Bedürfnisse des Einzelnen werden durch
die Stücke eines Vorrates befriedigt?
2.
Durch welche psychologischen Vorgänge und subjektiven Er-
wägungen werden die Güter geschätzt? (Worauf die Antwort eben
der Begriff des „Grenznutzens“ war.) Wie bildet sich der Preis aus
subjektiven Wertschätzungen — das heißt: was geschieht, wenn die
subjektiven Wertschätzungen der einzelnen / Wirtschafter als Käu-
fer und Verkäufer auf dem Markte Zusammentreffen? Nach wel-
cher „Verschlingung“ dieser subjektiven Wertschätzungen bilden
sich demnach die Preise auf dem Markte? Hierauf war die Antwort
das „Gesetz der Grenzpaare“, wie Böhm-Bawerk es nannte, das die
Marktvorgänge eindeutig unter eine bestimmte Grundformel brin-
gen möchte. Ihr Schema findet sich, allerdings in etwas vorsichtigerer
Fassung, schon bei Menger
1
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Carl Menger: Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, 1871, 2. Aufl. Wien
1923, S. 207 ff. — Eugen von Böhm-Bawerk: Positive Theorie des Kapitals,
Bd 1, 4. Aufl., Jena 1921, S. 272 ff. — Robert Zuckerkandl: Artikel Preis im
Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl., Bd 6, Jena 1925, S. 1005.