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S e i t e d e s B u c h e s , d a s n e u e r l e r n t e W o r t d e r f r e m -
d e n S p r a c h e , d i e n e u e L i n s e d e r B r i l l e , d e r n e u e
A u f t r i t t d e s S c h a u s p i e l s , d e r n e u e T a k t d e s L i e -
d e s , d a s n e u e G r a mm A r z n e i , d e r n e u e Z i e g e l s t e i n
f ü r d a s H a u s , d a s n e u e M e t e r T u c h f ü r d e n A n z u g —
sie alle haben nicht „stetig abnehmenden Nutzen“, sie befriedigen
nicht „stufenweise abnehmende Bedürfnisstärken“. Vielmehr müs-
sen alle Aufwendungen entweder als in sich selbst gegliedertes
G a n z e s gefaßt werden, wie die Brille, die Arznei, das Haus, der
Anzug, das Schauspiel, das Lied veranschaulichen; oder sie können
überhaupt keinem festen „Gesetz“, keiner regelmäßig bestimmten
„Kurve“ gehorchen, wie das Lesen eines Buches, das Erlernen einer
Sprache, die Unterhaltung mit dem Freunde beweisen, bei denen
nicht jedes neu hinzukommende Wort mehr noch weniger bedeutet,
sondern wo, falls eine Teilung des Ganzen überhaupt denkbar, so-
wohl der Anfang wie das Ende oder die Mitte den Gipfel bilden
kann. Hier kann es oft heißen: „D as S c h ö n s t e k o mm t e r s t “ ;
und dann wäre die letzte Nutzung die höchste.
Aber nicht einmal bei leiblichen Bedürfnisbefriedigungen trifft
die abnehmende Sättigung immer zu. Erst beim zweiten, / dritten
Glase Wein „ w i r d m a n g e s p r ä c h i g “ , „ g u t e r L a u n e “ —
dann hätte also das zweite, dritte Glas eine größere Bedeutung für
die Zielerreichung als das erste Glas, und das „Gossensche Gesetz“
gilt abermals nicht.
In allen diesen zahllosen und ähnlichen Fällen entsteht keine
stetig abnehmende Reihe von Nutzungen, entsteht daher kein
„letzter“, „kleinster“ Nutzen, kein Grenznutzen. S o b a l d d e r
f o l g e n d e W e r t a u c h g r ö ß e r s e i n k a n n a l s d e r v o r -
h e r i g e , i s t e s m i t d e m G r e n z w e r t g e d a n k e n v o r b e i .
Der jeweils letzte Wert kann dann seine Rolle nicht mehr spielen,
er ist dann nicht der kleinste Wert, nicht mehr die maßgebende
Rechengröße.
Gilt das schon für gewöhnliche Verbrauchsgüter, wie soll dann
aber für andere Güter, namentlich ganz oder zum Teile unver-
brauchliche Güter das Gossensche Gesetz gelten? Ein Glas Wasser,
ein Glas Wein, ein Stück Brot kann wenigstens einem bestimmten
Genusse zugeordnet werden. Wenn aber ein Bild ebensogut einmal
wie tausendmal betrachtet, ein Buch von 1 wie von 100 Menschen