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scher Bindung entstehen, nur von dem ererbten Schatze körper-
schaftlich-ständischer Bindungen zehren kann.
Wenn der staatlich überwachte und beeinflußte Kapitalismus
rasch in neue körperschaftlich-ständische Gliederungen und Bindun-
gen übergeht, wie sie den geistig veränderten Lebenszuständen der
Gesellschaft entsprechen, dann gereicht er zum Segen, wenn nicht,
so führt er zur Zerstörung.
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Nach der herrschenden Meinung wäre der „gemäßigte Kapi-
talismus“ als eine verkehrswirtschaftliche Wirtschaftsordnung im
individualistischen Sinne zu begreifen, und wäre damit die geschicht-
liche Möglichkeit und Lebensfähigkeit individualistisch-atomistischer
Wirtschaft bewiesen, in welcher der E i n z e l n e auf eigene Faust
wirtschaftete, wenn auch seine Wirtschaftshandlungen da und dort
eingeschränkt, seine Freiheiten beschnitten würden. Das heißt, der
heutige Kapitalismus wäre geschichtlich verwirktlichte, aber aller-
dings nicht zu völlig reiner Gestaltung gekommene, individuali-
stische Verkehrswirtschaft! — Wenn das der Fall wäre, dann müßte
es ja erreicht werden können, aus einem rein chaotischen, utopi-
schen Wirtschaftsdurcheinander, gleichsam aus dem Urgemenge,
durch gewisse Ordnungen und Bindungen eine Gestalt zu schaffen.
Das Gegenteil ist der Fall. Der s o g e n a n n t e „ K a p i t a l i s -
m u s “ b e s t e h t n i e m a l s a l s s o l c h e r , s o n d e r n b e g r i f f -
l i c h w i e g e s c h i c h t l i c h i s t e r n u r a u f G r u n d e i n e r
A u f l o c k e r u n g
v o r h a n d e n e r
k ö r p e r s c h a f t l i c h e r
G l i e d e r u n g e n m ö g l i c h , wie wir schon in einem anderen
Zusammenhange
1
feststellten. Er ist wohl in hohem Maße eine in-
dividualistisch-atomistische Wirtschaftsform (wenn auch die Bestie
niemals ganz entfesselt ist), aber nur — zur Auflösung von Bin-
dungen fähig, nur als eine Umschichtung, als eine Verflüssigung
der vorhandenen Gliederungen möglich, die dabei allerdings gerade
durch technische Verbesserungen geschehen kann. Aber die jeweilige
„Freiheit“ der Einzelnen in ihren wirtschaftlichen Handlungen ist
geschichtlich immer nur dadurch verwirklichbar gewesen, daß An-
gebot und Nachfrage, Verbrauch und Erzeugung, Preise und Ge-
winn, Kapitalien, Arbeit und Boden, Innenmarkt und Außenmarkt
1
Siehe oben S. 327 f.