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Wer in der Wirtschaftsgeschichte zu lesen versteht, wird finden, daß die
ständisch gebundene Wirtschaft zu allen Zeiten die einzig wirkliche ist, daß
überall im letzten Grunde Gliederungen, Abhängigkeiten, ständisch-genos-
senschaftliche Bindungen aller Art es sind, welche die Wirtschaftsgeschichte
von Anbeginn der Zeiten erfüllen. Es ist, das kann nicht oft genug betont
werden, nicht das Mittelalter allein, das eine ständisch-genossenschaft-
liche Wirtschaftsordnung zeigt. Es gibt Zeiten, wo diese durch verkehrs-
wirtschaftliche, dynamische Formen überdeckt wird (die kapitalistischen
Wellen), aber das eigentlich Bestandhabende, das tiefere Reale sind dabei
doch die jeweiligen ständischen Bindungen. Wenn etwas geeignet ist, diese
Wahrheit zu bestätigen, so ist es die Entwicklung der heutigen kapitalisti- /
schen Gesellschaft selbst. Diese riß mit Gewalt alle ständischen Schranken
nieder (besonders in Frankreich 1789), und doch mußte sie teils sehr vieles
gegen ihren Willen stehen lassen, teils bildete sich aus dem selbstgeschaf-
fenen Wirrwarr kraft innerer Gesetzmäßigkeit eine neue organische Glie-
derung heraus. Innungen, Bruderladen und manche andere zunftähnliche
Verbände konnten nie völlig beseitigt werden. Der freie Wettbewerb auf
dem Weltmarkt, den erst der Freihandel gebracht hatte, konnte nie ver-
wirklicht werden (wo es scheinbar der Fall war, haben Frachtenschutz,
Steuerschutz, Subventionen, Ausfuhrprämien und Verwaltungsschutz aller
Art die Zollfreiheit wieder aufgehoben, das heißt, wieder neue Sonder-
stellungen, Bindungen, Gruppierungen geschaffen). Aber das Wunderbarste
ist dieses: Inmitten des heftigsten freien Wettbewerbes haben sich auf
seiten der Unternehmungen die
K a r t e l l e u n d k a r t e 1 1 ä h n 1 i c h e
G r u p p i e r u n g e n
1
;
auf seiten der Arbeiter die
G e w e r k s c h a f t e n u n d g e w e r k s c h a f t ä h n 1 i c h e n
V e r b ä n d e
gebildet und haben so, ehe noch eine eigentliche Lücke großen Stils ent-
stehen konnte, selbsttätig wieder neue ständische Gliederungen an die
Stelle der alten, verlorenen und zerstörten gesetzt — allerdings Gliederun-
gen, die nur vorläufig und wild gewachsen sind, statt der planmäßigen in
früherer Zeit. Der gleichmacherisch-atomistische Wettbewerb hat nirgends
ein völlig atomistisches Nebeneinander, noch völlige Freiheit der Teile
hervorbringen oder erhalten können, sondern überall zusammenfassende
Bindung und Gliederung bewirkt
1 2
.
Der Wechsel dieser Wirtschaftsformen ist nicht von mechani-
schen Entwicklungsgesetzen gleich dem Marxischen „Kon-/ zentra-
tionsgesetz“ abhängig, denn solche mechanisch-ursächlichen Gesetze
gibt es in keinem Sinne; sondern von der Art der Ziele, denen die
Wirtschaft dient, vom Geist der Wirtschaft und des Lebens selbst.
Je mehr diese Ziele in einem Zeitalter sehr gleichartig und einheit-
1
Darunter sind Konzerne, Ringe, Syndikate, genossenschaftliche Bin-
dungen aller Art mit inbegriffen gedacht.
2
Der wahre Staat, 1. Aufl., Leipzig 1918, S. 245 f., 3. Aufl., Jena 1931,
S. 201 f. [4. Aufl., Jena 1938, S. 201 f.].