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märe Rolle spielen. Die geistigen Gemeinschaften, welche die Gesellschaft als
Erstes und Ursprüngliches ausmachen und aufbauen, stehen hinter allem Han-
deln, hinter dem wirtschaftlicher „Klassen“ sowohl wie auch anderer „Klassen“.
Einen zweiten Grundirrtum Marxens wie aller Individualisten erkannten wir
darin, daß Klasse eine Summierung Einzelner sei, was wieder voraussetzt, daß
der Einzelne selbsterzeuglich (autark) eine eigene Realität darstelle. Das letztere
ist falsch, daher notwendig auch das erstere.
Damit hängt ein dritter Grundirrtum eng zusammen. Wenn die Klasse eine
Summierung Einzelner ist, dann ist es verständlich, daß sie durch Verkürzung
(Unterwerfung) der einen und Bevorrechtung der anderen sich bilden könne,
dauernd zu bestehen und dabei sogar ein auf b a u e n d e s E l e m e n t in der
Gesellschaft zu sein vermag! (Zum Beispiel: Spartaner und Heloten könnten
trotz absoluter Herrschaft der ersteren, absoluter Unterdrückung der letzteren
eine Gesellschaft bilden.) Wie denn Machiavelli, mit dem Marx hier überein-
kommt, in der Unterwerfung das Wesen der Gesellschaft sieht. Die Wahrheit aber
ist das Gegenteil: Nur n a c h M a ß g a b e d e r g e i s t i g e n V e r g e m e i n -
s c h a f t u n g b e s t e h t G e s e l l s c h a f t , n a c h M a ß g a b e d e r U n -
t e r d r ü c k u n g u n d U n t e r w e r f u n g d a g e g e n v e r a r m t d i e g e i -
s t i g e G e m e i n s c h a f t , w i r d G e s e l l s c h a f t z e r s t ö r t u n d v e r -
n e i n t u n d i h r m i t d e r g e i s t i g e n S u b s t a n z a u c h a l l e G r u n d -
l a g e d e s B e s t e h e n s e n t z o g e n . Sklavenhalter, die ihre Diener und
Arbeiter zu tierischen Geschöpfen herabdrücken, berauben sich der geistigen
Gemeinschaft mit diesen Menschen, sie können nur noch eine Gemeinschaft
unter sich bilden — sie sind nach Maßgabe der Ausschaltung der anderen geistig
verarmt, das heißt entgesellschaftet! Wer eine Geschichte der „Klassen“-kämpfe
schreibt, schreibt nicht die Geschichte des Fortganges und der Entfaltung der
Gesellschaft, wie Marx und die Modernen meinen, sondern ihrer Niedergangs-
und Verfallserscheinungen.
Es ist für Begriff und Entstehung von Ständen entscheidend wichtig, daß sie
niemals durch Ausbeutung, Unterdrückung und den daraus folgenden Kampf und
Gegensatz entstehen und bestehen, sondern höchstens t r o t z dieses Kampfes,
aber d u r c h die ihnen arteigene Besonderheit und Gliedlichkeit, die wieder
aus zugrunde liegender Geistigkeit und Verrichtung im Rahmen des Gesellschafts-
ganzen kommt! Auch Herz und Lunge entstehen und bestehen nicht erst, weil
sie krank werden und weh tun und dadurch in „Gegensatz“ und „Kampf“ mit
dem Organismus kommen, sondern in demselben Maße vergehen sie; und die
Stadt besteht nicht, weil ihre Häuser niederbrennen, die Gesellschaft und Ge-
schichte nicht durch die Kämpfe der Klassen.
Wie aus allem Bisherigen hervorgeht, muß die Frage nach der
Entstehung und Grundlage dessen, was man individualistisch Klasse,
universalistisch Stand nennt, im universalistischen Sinne lauten:
W e l c h e g e i s t i g e n G e m e i n s c h a f t e n s i n d d i e
G r u n d l a g e f ü r d i e h a n d e l n d e n S t ä n d e ? Es liegt
hier schon in der Fragestellung: daß die Idee und Ideenbewegung die
Standesbildung in der Geschichte beherrsche. Ich habe diese Frage in
meinem Buche „Der wahre Staat“ (Leipzig 1921) ausführlich be-
handelt und muß hier darauf verweisen. Meine Untersuchungen
6 Kleine Schriften