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zu fassen. Jede echte Ganzheitslehre aber muß den einzigartigen
Wert und das verhältnismäßige (nämlich gliedhafte) Eigenleben, wie
die unverlierbare Würde des Einzelnen zeigen
1
.
C.
K i n e t i s c h e r U n i v e r s a l i s m u s
Soll dem Einzelnen sein Recht werden trotz unbedingter Erst-
wesentlichkeit des Ganzen, so muß das Dasein der Ganzheit (1)
geistig und (2) als unaufhörlicher, lebendiger Ablauf gefaßt werden.
Der Gedanke des Einzelnen lebt im Geiste des Anderen, der Geist
des Anderen lebt, indem der erste jenen Gedanken gedacht. „Fa-
bricando fabricamur“ sagt das alte Sprichwort, indem wir etwas
gestalten, werden wir gestaltet, nur im Fortgange nur in Tätigkeit
lebt das Ganze wie der Einzelne in ihm. Die Ausgliederung des
Ganzen ist nur in unaufhörlicher Umgliederung möglich. Der echte
Universalismus darf das Sein des Einzelnen nicht im Stillstande, er
muß es als Schaffen und Geschaffenwerden begreifen.
D.
P o l i t i s c h e A b a r t e n
Je nachdem der Begriff der Ganzheit gefaßt wird und je nachdem
er sich mit einem bestimmten Ideengehalt und bestimmter Anwen-
dung auf die Zustände des Zeitalters verbindet, entstehen verschie-
dene politische Anwendungsformen. Als deren wichtigste sind zu
betrachten: die theokratische Staatsauffassung und die körperschaft-
liche (ständische) Staatsauffassung. Jede echt universalistische Staats-
auffassung muß auf Bindungen gehen, die aber nicht zentralistisch
sein dürfen (da sie sonst alles homogen machen, atomisieren müs-
sen); sondern abgestuft, das heißt aber: körperschaftlich, ständisch
im weiteren Sinne des Wortes werden müssen
2
.
Weitere politische Formen des Universalismus mit mehr oder weniger indi-
vidualistischen Beimengungen sind: die organische Staatsauffassung, die im Staate
1
Zuletzt findet diese Einsicht in unserer Lehre allerdings erst durch den
Begriff der A b g e s c h i e d e n h e i t ihre abschließende Begründung.
2
Näheres darüber siehe in meinem Artikel: Klasse und Stand, oben S. 67 ff.,
sowie in meinem Buch: Der wahre Staat, 2. Aufl., Leipzig 1923, S. 204 ff. (jetzt
5. Aufl., Graz 1972, S. 283 ff.).