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Daher auch nach Eckehart die s i t t l i c h e Wirkung der Er-

kenntnis und ihre Unentbehrlichkeit für das geistige Leben der

Seele:

„Erkennen edelt die Seele.“

1

„Das Erkennen bedeutet eine gewisse Gottförmigkeit“

2

; und: Die Seele ist Gotte-

sippe, Gott aber ist Erkennen.

Hierbei ist indessen zu bedenken, daß es sich nicht um bloß be-

grifflich-verarbeitendes Denken, sondern um erlebendes, also eigent-

lich mystisches Denken handelt. Daraus folgt zuletzt auch die

durchaus grundlegende Stellung, welche Eckehart dem Erkennen

im Haushalte des Geistes zuweist:

„Nimm das Wissen fort, so bleibt nur ein reines Nichts übrig.“

3

„Erkenntnis ist eine Grundfeste und ein Vormund („pfunmunt“) alles We-

sens.“

4

Endlich ist daraus auch das Lob der W e i s h e i t und des

weisen Menschen verständlich:

„Der Mensch, dem die Weisheit einwohnt, ist eine Herberge Gottes.“

5

„Gott hat den Menschen lieb, in dem die Weisheit wohnt.. ,“

6

Und daran schließt Eckehart den wunderbaren Herzenserguß:

„Die Weisheit ist gelobet über Gold und Silber: sie ist ein Ursprung aller

Seligkeit. Sie ist auch die Seligkeit selber. Gott, der mag dem Menschen nichts

Größeres geben als diese Weisheit, denn sie ist die größte Freude und Seligkeit...

Alle Menschen begehren die Weisheit von Natur (die Anfangsworte der „Meta-

physik“ des Aristoteles, wie oben angeführt), mehr: D e r e r s i n d w e n i g ,

d i e d i e w a h r e W e i s h e i t i n d e r W a h r h e i t e m p f a n g e n e i n e n

A u g e n b l i c k . Denn welchem der e w i g e n Weisheit würde gegeben ein

Augenblick, das wäre die Weisheit allzumal, wann sie behält für sich weder

minder noch mehr: sie ist an sich selbst und an allen, denen sie sich offenbart, da

Gott selber ist die Weisheit in der Wahrheit. So v i e l a l s w i r i n d e r

W a h r h e i t e r k e n n e n , s o v i e l h a b e n w i r G o t t , noch minder noch

mehr: wir haben da Gott in Gotte und uns in Gotte.“

7

1

Meister Eckehart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Göttingen 1924, S. 254,

Zeile 10.

2

Berhard Geyer: Magistri Echardi Quaestiones et sermo Parisienses, Bonn

1931, S. 60.

3

Berhard Geyer: Quaestiones, Bonn 1931, S. 61; tolle scientiam: remanet

unum purum nihil.

4

Meister Eckehart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Göttingen 1924, Pre-

digt XIX, S. 84, Zeile 13.

5

Meister Eckehart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Göttingen 1924, S. 379,

Zeile 29; Traktat 1 — der mit völligem Unrechte nicht für echt gehalten wird!

6

Meister Eckehart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Göttingen 1924, S. 379,

Zeile 30.

7

Meister Eckehart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Göttingen 1924, S. 379,

Zeile 32.