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sten Forderungen unseres Wesens und Denkens! Darum war denn

auch für die alten Zeiten, welche jene materialistisch aufgefaßten

Analysen der naturwissenschaftlichen Physiologie und der mathe-

matischen Physik noch nicht kannten, die Annahme eines Mit- und

Gemeinlebens von Mensch und Natur durchaus selbstverständlich!

Die Vorstellung, daß die Natur nicht lebe, daß sie nicht Licht noch

Klang noch Wärme in sich habe, wäre diesen Zeiten unfaßbar ge-

wesen. Und die Naturphilosophie Platons, Aristoteles’, Plotins, der

Scholastik und Mystik, sowie später Schellings, Hegels, Baaders,

Goethes — lief sie nicht in irgend einer Weise zuletzt darauf hinaus:

daß der Mensch die immaterielle Ideen- und Formenwelt der Na-

tur, also das, was wir, allgemeiner, ihre immateriellen Wurzeln, ihre

Innerlichkeit nannten, in sich selber trage; daß er also diesen la-

tenten Besitz in der Sinnesempfindung nur aktuiere? „Nicht der

Stein ist in der Seele, sondern die Form des Steines“, so lauten die

berühmten Worte des Aristoteles

1

. Diese Worte sind im Grunde

auch platonisch. Was wir oben versuchten, mag man ruhig auch eine

bloße Durchführung solcher platonisch-aristotelischer Gedanken

und Hinweise nennen. Wir fügen noch hinzu, daß auch die tief-

sinnige „Anamnesislehre“ Platons im „Menon“ (Wiedererinnerung

aus der Ideenwelt), die allerdings nur sinnbildlich-mythisch zu ver-

stehen ist, hierher gehört! Allbekannt sind auch Goethes, zugleich

plotinisch klingende, Worte, welche Reiz, Sinnesorgan und Sinnes-

empfindung auf eine Gleichung bringen:

Wär’ nicht das Auge sonnenhaft,

Die Sonne könnt’ es nicht erblicken,

Lebt’ nicht in uns des Gottes eigne Kraft,

Wie könnt’ uns Göttliches entzücken?

Dazu nehme man für das höhere Seelenleben die Worte Meister

Eckeharts: „Gott wird durch Gott erkannt in der Seele“.

Aristoteles, Plotin, Meister Eckehart, Goethe, Schelling, Baader

dachten sich demnach im Grunde genommen den Menschen in ste-

tem Verkehr mit dem Innerlichen der Natur. Hätten sie die Außen-

seite dieses Verkehrs, so wie ihn heute die Naturwissenschaften auf-

deckten und lehren, gekannt — ihre Ansicht von der Innenseite als

der tieferen Wahrheit hätten sie darum nie und nimmer preisgeben

können.

1

Aristoteles: Über die Seele, 431 b.