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oder Gezweiung zwischen Menschen; „Geist wird an dem Immate-

riellen, dem Innern der Natur“ — das bezeichnet die Gemeinschaft

oder Gezweiung fernerer, höherer Ordnung zwischen Mensch und

Natur, das Gemeinleben des Menschen mit der Natur! Die Sinnes-

empfindung ist es vor allem, in der sich dieses Werden des Geistes

an der Natur, als Gemein- und Mitleben, vollzieht.

Was es für den menschlichen Geist in seiner inneren Entfaltung

bedeutet, zeigen uns grell die Ausfallserscheinungen, z. B. bei Taub-

stumm-Blinden: Der m e n s c h l i c h e G e i s t b e d a r f z u

s e i n e r E n t f a l t u n g d e r u n t e r s t e n S t u f e s e i n e s

W e s e n s , angezeigt durch die Sinnesempfindung, des Gemein-

lebens mit der Natur. Erst auf diesem als einer Grundlage vermag

sich sein höheres Geistesleben usw. in Gemeinschaft mit anderen

Geistern, zu entfalten.

Kein Wunder daher, daß wir bei vielen mächtigen Geistern und

Mystikern, so beim heiligen Franzsikus, bei Meister Eckehart („Gott

ist kein Zerstörer der Natur, sondern er vollbringet sie“), bei Jakob

Böhme, bei Schelling, Goethe, Novalis, Eichendorff das Gemein-

leben mit dem Inneren der Natur so sehr entwickelt sehen. Ecke-

hart nennt die Sinnlichkeit einmal „niedere Vernunft“, worin doch

liegt, daß sie die Grundlage der höheren sei.

Unmittelbare Verbundenheit, Gemeinleben mit dem Inneren der

Natur schließt endlich auch in sich, daß es sich in der Sinnesempfin-

dung um keine Willkürlichkeiten, um keine bloße „Subjektivität

der Sinnesqualitäten“ handle! Im Gegenteile! Die Unmittelbarkeit,

die Gezweiung (wenn auch fernerer Ordnung) gewährleistet grund-

sätzliche „Adäquatheit“ der Empfindung! Wie w ä r e a u c h

e i n M i t l e b e n o h n e i r g e n d e i n e i n n e r e W a h r -

h e i t a u f d i e D a u e r m ö g l i c h !

Die von Kant behauptete — übrigens von ihm selbst einge-

schränkte — Unerkennbarkeit des Ansich der Dinge fällt dahin!

Diese unsere Auffassung von der Empfindung als einem Zeug-

nisse innerer Verbundenheit der Seele mit der Natur und in diesem

Sinne des Mitlebens des Menschen mit ihrer Innerlichkeit steht

zwar, wie sich ergab, in schroffem Widerspruche mit der heute herr-

schenden Zweifelsucht und Äußerlichkeit der Naturansicht, wie sie

sich besonders in der parallelistischen — im Grunde materialisti-

schen — Empfindungslehre kundtut; sie entspricht jedoch den tief-