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des Mitlebens, der gegenseitigen inneren Anziehung vor uns. Und
diese Behauptung kann man sogar auf die K r i s t a l l e ausdehnen
1
.
Auch wenn wir diese Hinweise noch um viele andere vermehrten
(das zu tun, ist nicht unsere Aufgabe), so würden wir doch nicht zu
einem vollen Bilde des Gesamtganzen, das wir in der Natur be-
schlossen wissen, gelangen. (In meiner „Naturphilosophie“ ver-
suchte ich eine „Ausgliederungsordnung“ der Natur zu entwerfen.)
Aber der Begriff eines Gesamtlebens im Gesamtganzen der Natur,
wie wir ihn fordern, ist dennoch nicht ohne Ausbeute!
Zuerst erkennen wir aus ihm, daß die Natur — als Ganzes ge-
nommen — s c h ö p f e r i s c h sein müsse! Dem widersprechen
allerdings die „Erhaltungssätze“ der gegenwärtigen Physik. Aber
keine lebendige und tieferdringende Naturbetrachtung kann ihnen
zustimmen. Die Erhaltungssätze, heute alle auf den Satz von der
Erhaltung der Energie zurückgeführt, sind lediglich eine Forderung
des V e r f a h r e n s der Physik, das heißt der Auflösung sämt-
licher Naturerscheinungen ins Mengenhafte, Mathematische. Aller-
dings bewährte sich diese verfahrenmäßige Unterstellung und
machte die Physik erst zu dem, was sie wurde; sie gab ihr erst ihre
heutige Geschlossenheit. Das kann aber niemals ein Beweis gegen
dasjenige sein, was aus dem Wesen der Sache gefordert und aus un-
serem Mitleben mit ihr unmittelbar eingesehen wird: „wie Natur
im Schaffen lebt“. (Goethe, Parabase)
Eine zweite Frucht des Begriffes eines Gesamtganzen der Natur
mit einem Gesamtleben sprießt aus dem Begriffe der Ganzheit sel-
ber, unmittelbar! Wie jedes Glied einer Ganzheit von einer größe-
ren Ganzheit befaßt, das heißt überhöht und rückverbunden wer-
den muß, so auch die Gesamtganzheit der Natur selber. Das kann
nur im Höchsten geschehen, in G o t t .
Nach den verfahrenmäßigen Unterstellungen der Physik —
welche eben zur Erreichung des Zieles einer rein mengenhaften Be-
trachtung nötig sind — kann von Gott in der Natur nicht die
1
Vgl. W i l h e l m T r o l l :
Goethes morphologische Schriften, Jena o. J.,
S. 89, 94 ff. und öfter; Das Problem des Schönen, in: Studium Generale, 1949,
S. 259 ff. (mit wertvollen Nachweisen: die S c h ö n h e i t g e h t d u r c h
d i e g a n z e N a t u r ) . — L o t h a r W o l f , in: Studium Generale, Heidel-
berg 1949, S. 213 ff. — J o h a n n K i l l i a n : Das Du im Stein, Die Sprache
des Anorganischen, Berlin, Wien, Leipzig 1948.