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Nun könnte man einwenden: Ist das Gehirn nicht Werkzeug des

Geistes? Sind nicht die Hormone und inneren Sekrete unentbehr-

lich zur Gesundheit auch des Geistes? „Die ganze Ethik ist basiert

auf die Hormone der Saftdrüsen“, „die sogenannten Hormone (er-

zeugt von den Saftbrauerhänden der sympathischen Geflechte) sor-

gen für ein harmonisches Funktionieren der Gehirnzellen“, sagt

Schleich

1

. Darüber hinaus kann man Blut und Zentralnervensystem

als Einheit auffassen und damit beide als Werkzeug des Geistes.

In Wahrheit folgt aber aus der Unentbehrlichkeit des Zentral-

nervensystems ebensowenig wie aus der des Blutes und im beson-

deren der Hormone nicht, daß sie Organe des Geistes wären. Das

Gesamtganze des Organismus ist es vielmehr, das dem Geiste dient,

und zwar nur zur Lieferung von Sinnesempfindungen, die sich aus

der Verbindung mit der Natur ergeben. Spezifische Organe des

Geistes in diesem Gesamtganzen gibt es nicht.

Das wird gerade am Zentralnervensystem klar. Das Zentral-

nervensystem, vornehmlich die Hirnrinde, ist allerdings ein unent-

behrliches Organ des Geistes, aber in welchem Sinne? Doch nur

in dem Sinne, daß für die willkürlichen Bewegungen und die Her-

vorbringung der Sprachlaute, ferner für die Sinnesempfindungen

und deren Bewahrung außer den Sinnesorganen auch das Zentral-

nervensystem unentbehrlich ist; wobei überdies das Blut und

schließlich alle anderen Leistungssysteme stets mitwirken müssen.

Mag auch in diesem Ganzen dem Zentralnervensystem eine füh-

rende Stellung zukommen — ein direktes Organ des Geistes, eine

Entsprechung zum Denken, Gestalten, Wollen, Lieben sind die Ge-

hirnzentren jedenfalls nicht.

Die materialistische Physiologie der Jahrzehnte vor und nach der

Jahrhundertwende hat bekanntlich im Großhirn mit größter Ent-

schiedenheit „Sinnesfelder“ und „Assoziationsfelder“ unterschieden.

Letztere sollten die zwischen den Sinnesfeldern, sowie die im Stirn-

lappen liegenden Gegenden sein. Diese naive Unterscheidung war

aber in Wahrheit keine Frucht physiologischer Forschung, sondern

einfach auf der Assoziationspsychologie aufgebaut. Seitdem aber

diese Psychologie mehr und mehr gefallen ist (wenn sie auch in

1

Carl Ludwig Schleich: Bewußtsein und Unsterblichkeit, Stuttgart 1920,

S. 26 und 96.