365
Daher sind, worauf wir schon unsere Aufmerksamkeit lenkten,
die niedersten Tiere und Pflanzen sozusagen nur ein einziger, wenig
gegliederter Verdauungskörper, und ihre Gestalt nähert sich den
Kristallen an — übrigens ein deutlicher Hinweis auf die relativ
größere Rolle der anorganischen Materie in diesen Organismen.
Der Mensch hingegen hat:
1.
die unmittelbaren Kommunikationssinne, nämlich Geschmacks-,
Geruchs-, Tast-, Wärme- und Bewegungsempfindung ungleich mehr
ausgebildet und darum die einzelnen Kommunikationsarten auch je
für sich entwickelt; also: Verdauungs-, Atmungs-, Berührungs- und
Bewegungsorgane differenziert; — er hat auch
2.
dazu höhere Sinne entwickelt, nämlich Gesicht und Gehör,
welche ihn aus der blinden Nacht und toten Stille des niederen
Tier- und Pflanzenlebens herausheben. — Nun haben allerdings
auch die höheren Tiere Lunge und Darm getrennt, ebenso Gehör
und Gesicht entwickelt, es fehlt ihnen aber, was den Menschen aus-
zeichnet:
3.
daß er das sinnlich Empfundene in das R e i c h d e r G e -
d a n k e n zu erheben, es zur Reflexion, zur vollen Bewußtheit zu
bringen und es dadurch zur Grundlage seiner gesamten höheren
Geistigkeit zu machen vermöge.
Durch alle diese Vermittlungen spiegelt sich im menschlichen
Organismus seine höhere geistig-seelische Art, trotzdem spezifisch
geiste Organe nicht bestehen, das heißt, der menschliche Orga-
nismus wird auf diese Weise zu einem e l e m e n t a r e n S e e -
l e n s p i e g e l .
Wegen dieses Mangels unmittelbarer Geistesorgane, wegen dieser
grundsätzlichen Seelen- und Geistesferne des Organismus kann sich
alle Seelenspiegelung nur mittelbar zeigen. Es gibt daher wohl eine
P h y s i o g n o m i k , die die Seele aus dem gesamten Habitus des
Körpers oder sinnbildlich deutbaren Anzeichen abliest (man denke
an Handlesekunst, Schriftdeutung); aber keine leibliche P s y c h o -
g n o m i k , das heißt keine Möglichkeit, aus bestimmten leiblichen
Organen des Liebens, Denkens, Wollens usw. selbst die Verfassung
des Geistes abzulesen. Wäre der Organismus in irgendeiner unver-
mittelten Weise Seelenspiegel, zeigte er irgendwo geradewegs die
Signatur des Geistes an, dann müßte es eine wahre Psychognomik
geben, nicht eine bloße Physiognomik, wie wir sie wirklich auszu-