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§ 5

Lehrsätze 4 und 5: „Das Ganze geht in den Gliedern nicht

unter“; „darum ist es am Grunde der Glieder“

Diese Sätze folgen aus den früheren und sind in diesem Sinne

nichts anderes als weitere Ausführungen des Satzes: „Das Ganze

wird in den Gliedern geboren, stellt sich in den Gliedern dar“.

Die Glieder nämlich, indem sie als etwas verhältnismäßig Selb-

ständiges in Erscheinung treten, sind dennoch kein Nieder- / schlag,

sozusagen nichts Ausgestoßenes. Sie dürfen nicht als selbstseiend

betrachtet werden. Wäre das der Fall, so würden ja die Glieder als

solche Dasein haben, was wir oben

1

als unmöglich erfanden; aber

es hieße das auch, daß gleichsam das Ganze sich in den Gliedern ver-

steinern lasse, daß das Ganze sich in den Gliedern ausgießen würde,

denn nur dann wären diese Glieder, einmal ausgegliedert, schlecht-

hin da, „selbständig“. Das ist nicht der Fall: Das Ganze geht in den

Gliedern nicht unter! Das Ganze erschöpft sich nicht in seinen Glie-

dern. Es fließt in ihnen nicht aus, es versteinert sich nicht in ihnen

(daher auch, philosophisch gesehen, der wahre Ganzheitsbegriff

nicht pantheistisch ist).

Wir erläutern diesen Satz zuerst an einigen Beispielen:

(1) Betrachten wir den Vorgang zuerst von der Seite persönlicher Ganz-

heiten, zum Beispiel der lebendigen Sprache, her. Da leuchtet ein, daß der Spre-

chende im gesprochenen Worte nicht untergeht. Der Sprechende oder Mitteilende

(Denkende) enthält vielmehr das Gesprochene oder Mitgeteilte in sich, oder anders

gesagt: das Mitteilende, die Kraft, die Worte zu denken und auszusprechen, bleibt

bestehen; denn der Gedanke s e t z t wohl die gesprochenen Worte, aber er

fließt im gesprochenen Worte nicht aus, s o n d e r n b l e i b t a l s G e d a n k e

b e s t e h e n und darum bleibt er auch weiterhin als sprechende Potenz, als die

Fähigkeit, immer wieder zu sprechen, zurück! Umgekehrt: die gesprochenen Worte,

die Mitteilungen oder objektiven Glieder des Mitteilungsganzen haben ihrerseits

das Mitteilende (den Gedanken, den Sprecher) nicht gleichsam geschluckt, nicht

absorbiert, sie sind nicht der versteinerte Gedanke oder Sprecher — dieser bleibt

zurück, bleibt als das sinngebende und umfangende Zentrum bestehen, oder, wie

wir es ausdrücken wollen: Er b l e i b t a m G r u n d e d e s A u s g e g l i e -

d e r t e n .

Den gleichen Tatbestand zeigen alle beliebigen Beispiele von Ganzheiten per-

sönlich-geistiger Art. So der Handelnde gegenüber der Tat. Das Getane ist nicht

versteinertes Tun, sondern Ergebnis desjenigen Tuns, das als Wille und Ver-

* 6 * 6

1

Siehe S. 64 f.

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