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einen wahren Urbegriff des Denkens aller Dinge erfinden, wenn wir

diese nur recht an unserem inneren Auge vorüberziehen lassen.

Setzen wir einmal die uns anerzogene atomisierende, allentseelende

Betrachtungsweise der Dinge nach blinder Ursächlichkeit entschlos-

sen zur Seite, so fühlen wir deutlich und erkennen es klar, wie alles

in der Welt kraft seiner Wesenheit einen Rang hat. Mensch und

Schimpanse, Löwe und Schakal, Rose und Grashalm, Kristall und

Kieselstein sind nicht von gleichem Rang, sie nehmen eine verschie-

dene Stelle in der Leiter der Wesen ein.

Der Organismus hat lebenswichtige, „edle“ und weniger edle, entbehrliche

Organe. Ohne das Herz, ohne das Zentralnervensystem kann er unmöglich leben;

ohne den kleinen Finger, ohne gewisse Drüsen, wie etwa die Mandeln, kann er

dagegen immerhin noch leben.

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In der G e s e l l s c h a f t können die geistigen Gemeinschaften, Religion, Phi-

losophie, Kunst, Wissenschaft als die ganzheitsnahen, als die wesentlicheren gegen-

über den handelnden Gemeinschaften, wie Politik, Wirtschaft betrachtet werden.

In den geistigen und handelnden Gemeinschaften wieder sehen wir die Aktiven

oder „Führenden“ den Empfangenden oder „Geführten“ gegenüberstehen, zum

Beispiel Künstler und Kunstgenießer, Erfinder und ausführende Arbeiter, König

und Bürger. Die ersteren sind ganzheitsnäher, sind wesentlicher, sie sind darum

edlere, lebenswichtigere Organe der Gesellschaft als die letzteren.

Der B e g r i f f hat „wesentliche“ und „unwesentliche“ Merkmale, das heißt

Glieder, ohne die der Gegenstand unmöglich ist, und solche, ohne die er wenig-

stens beschränkt möglich ist.

In der S p r a c h e , nach der grammatisch-logischen Seite hin betrachtet, sehen

wir Subjekt und Prädikat im Rangverhältnis zueinander stehen, ebenso die an-

deren Satzteile; und mit Recht hat man die verhältnismäßig „selbstbedeutenden“

von den „mitbedeutenden“ Wörtern unterschieden (Marty), deren verschiedene

Wesentlichkeit am Tage liegt.

Im S e e l e n l e b e n ist es unter anderem die Erscheinung des Charakters,

die nicht nur selbst Rangbestimmung fordert, sondern mehr: Der „Charakter“

zeigt deutlich, daß ihm nicht alle seelischen Akte und Zustände gleich wesens-

nahe, wesensbestimmend sind. Darum nehmen im beschaulichen Charakter die

dem Wissensgebiet, im tätigen die dem Willensgebiet angehörigen seelischen

Regungen einen höheren Rang ein.

In S i t t e n l e h r e u n d R e c h t sehen wir höhere Gebote und Rechts-

sätze niederen gegenüberstehen, wie es der Satz „Reichsrecht bricht Landrecht“,

oder der Unterschied von Verfassung gegen Gesetz, von Verbrechen gegen Ver-

gehen, von Todsünden gegen läßliche Sünden anzeigt. Weder Sittlichkeit noch

Recht sind ohne Rangordnung ihrer Sätze denkbar, sie sind hierarchisch-norma-

tive Gebäude. Sind ja Sitte und Recht im Gesamtganzen des gesellschaftlichen

Zusammenlebens selbst nur die r a n g b e s t i m m e n d e n S y s t e m e , das

heißt jene Ordnungen, welche den Rang der geistig-sinnlichen Inhalte festlegen,

sofern sie Ziele des Handelns werden!

Im S t u f e n b a u sehen wir überall die höhere Stufe als ganzheitsnäher zu-

gleich den höheren Rang gegenüber der niederen und deren Gliedern einnehmen

(Staat vor Gemeinde, Heer vor Regiment und so fort).