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E x k u r s ü b e r K o n j u n k t u r u n d K r i s e
Die bisherigen Ausführungen über diesen Gegenstand mögen an der Verfolgung eines
einfachen Beispieles verdeutlicht und weitergeführt werden. Nehmen wir an, es würden
durch Errichtung von Straßenbahnlinien, Automobillinien, Ausbau (oder selbst nur
Ausgestaltung) von Eisenbahnverbindungen in einem gegebenen volkswirtschaftlichen
Umkreis (etwa mehrerer Städte und Ortschaften) einer Anzahl von Ärzten, Agenten,
Geschäftsleuten und Privaten die Haltung eigener Gefährte oder die Inanspruchnahme
fremder Privatfuhrwerke entbehrlich. Hiermit werde im ersten Jahre Kaufkraft im Betrage
von 1 Million Kronen frei. (Von der Kaufkraftsbindung der geschädigten Fuhrwerker sei hier
abgesehen.) Wie wird diese Summe verwendet? Es können davon etwa 10°/o den neuen
Verkehrsmitteln Zuströmen, 30% für die Hebung des Lebensfußes in Bezug auf Nahrung,
Kleidung, Wohnung verwendet werden, 20% für Verbesserung der Erziehung, Kapitals- und
Heiratsausstattung der Kinder, 10% für Bildung, Theater, Konzert, 10% für Luxus und
Vergnügen und endlich der Rest von 20% für geschäftliche Kapitalbildung. Es ist natürlich,
daß sich diese Summen verschieden verhalten, je nachdem sie dem Verbrauche oder der
Kapitalbildung dienen. Zur Veranschaulichung der ersten Funktion verfolgen wir einen
Aufwand von 50.000 K (5%), welcher in Heiratsausstattungsgeschäfte ströme. Von diesem
Betrage verbleiben etwa 5% als Reingewinn dem betreffenden Geschäftsinhaber, 30% dienen
der Bestreitung der Handelskosten, ein Rest von etwa 65% (32.500 IC) strömt dann weiter an:
Weißnäherei, Stickerei, Färberei, Weberei, Spinnerei, Zwirn- und Nadelfabrikation und
dergleichen; von jedem dieser Erzeugungszweige mag abermals ein ähnlich verminderter
Betrag wieder an die Industrie der Vorprodukte weiterströmen und so fort, bis zu den
Urprodukten. In allen diesen Erzeugungs- und Handelszweigen wird nun: 1. der Reingewinn
und die Lohnsumme erhöht und somit an diesen Stellen K a u f k r a f t f r e i , j e d o c h
i n a b s t e i g e n d e r I n t e n s i t ä t , da jeder Vorproduktion nur noch sehr verminderte
Beträge Zuströmen; 2. sofern die beteiligten Unternehmungen auf die größeren Bestellungen
mit Verbilligungen reagieren, wird neuerdings Kaufkraft f r e i , und zwar diesmal nicht der
Produzenten durch Verdiensterhöhung, sondern der K o n s u m e n t e n . Beide
Kaufkraftsbefreiungen lösen abermals Wirkungen aus, welche denen des eben besprochenen
Beispiels gleichen. Aber die erstere flaut rasch ab und wird mehr die Tendenz haben, der
geschäftlichen Kapitalbildung zu dienen, die letztere kann eine schneeballartige
Weiterverarbeitung bewirken; 3. sofern die beteiligten Unternehmungen auf größere
Bestellungen nicht verbilligend, sondern verteuernd reagieren (z. B. wenn sie schon vorher
voll beschäftigt waren und nun Überstunden in Anspruch nehmen müssen, wenn die
Rohstoffe durch die vermehrte Nachfrage oder die Arbeitslöhne aus dem gleichen Grunde im
Preise steigen), wird eine P r e i s e r h ö h u n g der betreffenden Erzeugnisse eintreten und
K a u f k r a f t g e b u n d e n werden. Selbst in diesen Fällen kann nach einiger Zeit, wenn
die Betriebe vergrößert und auf die erhöhte Inanspruchnahme eingerichtet sind (was
gewöhnlich mit technischen und organisatorischen Fortschritten verbunden ist), eine
Verbilligung folgen und damit dieselbe Wirkung wie sub 2 sich ergeben. — Daß solche
fortschreitende Verbilligungsbewegungen schließlich vor Verteuerungen, namentlich der
Rohstoffe und Lebensmittel, endgültig haltmachen müssen, und wie sich diese
Preiserhöhungen als Teuerung der Kostenelemente dann zyklisch bei allen Erzeugnissen
geltend machten, wurde schon oben auseinandergesetzt.