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III.
Durchgängige Ebenbildlichkeit oder Stil
Die Ebenbildlichkeit ist nach Gehalt und Rang nicht in allen
Gliedern die gleiche; aber die Glieder weisen aufeinander hin und
ihre gesonderte Ebenbildlichkeit stimmt darum doch miteinander
zusammen. Wenn diese Hinweise aufeinander nicht durch Störun-
gen, wie sie Wucherung, Schrumpfung, Sonderartung des Eigen-
lebens der Glieder hervorrufen, getrübt sind; wenn also bei allen
Gliedern d u r c h g ä n g i g die Ebenbildlichkeit
jene
Reinheit
bewahrt hat, die sie zu ihrem Zusammenspiel befähigt, dann ist
Reingestaltigkeit, Gleichsinnigkeit aller Glieder, dann ist „Stil“
des Ganzen vorhanden. Das Gegenteil von Stil ist das Ungleich-
sinnige oder Stillose, das heißt das Gestaltgetrübte, das Mißbildliche,
der Misch-Masch.
„Stil“ gehört dieser seiner Natur gemäß allen ganzheitlichen
Gebieten an, nicht nur etwa der bildenden Kunst und der Schreib-
art. Bei der Kunst kommt aber, da sie Ganzheiten bewußt zu ge-
s t a l t e n hat, die Notwendigkeit durchgängiger Einstimmung
oder gleichsinniger Ebenbildlichkeit der Glieder als praktische For-
derung viel mehr in Betracht als anderswo; dementsprechend der
Stil b e g r i f f in der Kunstwissenschaft eine besondere Rolle spielt.
Außerdem liegen die geschichtlichen Stilformen, wie die romanische,
gotische in ihrer Reinheit vor unseren Augen. Darum würde der
Künstler, der ein Barockgebäude mit romanischen Motiven durch-
setzte, den Tadel geradezu herausfordern. — In der Wissenschaft
heißt die Stilmengerei „Eklektizismus“; einem Lehrgebäude, das
von überallher bunte Lappen zusammenflickt, fehlt der einheitlich
begründende Begriff, fehlt der „Stil“ im Sinne logischer Ebenbild-
lichkeit der Glieder. Dasselbe würde von einem aus Dogmen und
Frömmigkeitsweisen
verschiedener
Herkunft
zusammengesetzten
religiösen System gelten. Ebenso ist ein Handeln, in dem zum Bei-
spiel Instinkt und Trieb durch inadäquate Überlegungen gestört
wurden, oder das auf einander unlogisch widersprechende Ab- /
sichten aufgebaut ist, „sprunghaft“, „irrlichternd“, „geschmacklos“,
das will sagen „stillos“; oder ein Handeln, welches einmal gesetzte
Ziele nicht festhält, sondern plötzlich abbricht und zu andern Zielen
und anderm Handeln übergeht, zum Beispiel nach dem lustigen
Wiener Sprichwort „Verkaufes mei’ G’wand — I' fahr’ in’ Hirn-