Table of Contents Table of Contents
Previous Page  4068 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 4068 / 9133 Next Page
Page Background

196

[213/214]

ohne systematischen Bezug auf die frühere Ausgliederung derselben

Ganzheit nicht möglich! Die Umgliederung knüpft nicht nur an

den augenblicklich vorhergehenden Zustand an, sondern grundsätz-

lich an alle vorhergehenden Zustände; die allerdings nicht alle

gleich wirksam, gleich wesenhaft für jede Gegenwart sind. Indem

zum Beispiel der Leser dieses Buches diese Zeilen liest, knüpft er an

seine Volksschulzeit an, in der er lesen lernte. In diesem Falle ist es

zwar ein recht äußerliches Bestimmtwerden durch Früheres, aber

auch dieses Äußerliche erweist sich als durchgängig bestimmend. Der

Sünder lebt stets von seinen besseren Zeiten, der Gebesserte durch

und in der fortdauernden Überwindung der Fehler früherer Zeit,

welcher Überwindung als einer wesentlichen und in heißem Be-

mühen vollzogenen Bezugnahme auf das (mitgegenwärtige) Ver-

gangene er allein das Seinige verdankt. Der Emporkömmling fußt

auf dem Früheren, der Gestürzte ebenfalls. Und in der Geschichte

sehen wir jede Kultur, jedes Zeitalter auf die ihm kongenialen wie-

der „zurückgreifen“, die metaphysischen Zeiten auf metaphysische

und mystische, die nüchternen, schaffenden wieder auf nüchterne,

schaffende, die Zeit vor dem Krieg auf Renaissance und Aufklärung,

die heutige, trotz allen Unglücks morgenrötliche Zeit, allmählich

wieder auf Gotik und Romantik.

Durch diese und ähnliche Beispiele kann sich jedermann über-

zeugen, wie in der werdenden Ganzheit nicht nur der ihr unmittel-

bar vorhergehende Zustand, sondern auch das Altvergangene lebt.

Die Zeit kann mit ihrer die Zustände trennenden Tendenz niemals

vollkommen durchdringen. Auch das Getrennteste ist sich in ge-

wissem Sinn noch immer unmittel- / bar nahe und ineinander. Die

Einheit in der Ausgliederung und die Einheit in der zeitlichen Um-

gliederung sind diese beiden Aufhebungsmomente jener Trennung

1

.

Hier zeigt sich konkret, was wir früher nur allgemein erkannten:

Alles Zeitliche ist zugleich überzeitlich — weil an die unzeitliche,

unzerstreute Einheit der Entfaltung des Ganzen geknüpft. Und noch

mehr, auch die Zukunft ist als Aufgabe immer schon da, die Ver-

gangenheit als Grundlage unvergänglich.

Hiermit ist die Grundlage für den Begriff einer o r g a n i s c h e n

Z e i t gegeben, die im Überzeitlichen, im Zeitlosen als in ihrer

Einheit ruht und keine sinnlose, mechanische Veränderung ist.

1

Wozu noch die erst später zu erklärende Rückverbundenheit kommt.