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erkannte reproduktive Art alles Daseins beleuchten, mögen die vor-
stehenden Erwägungen belegen.
Beim organischen Leben ist in der Erfahrung ausschließlich Entstehung durch
Abstammung bekannt nach dem Satz: „omne vivum ex ovo“, der bekanntlich
nicht nur vom Vitalismus allein vertreten wird. „Urzeugung“ ist ein wider-
spruchsvoller Begriff schon darum, weil Gegliedertes nicht aus Ungegliedertem
entstehen kann. Allerdings setzt auch jeder unorganische „Stoff“ bereits Aus-
gliederung voraus, es ist aber eine Gliedlichkeit anderer Ordnung, die er dar-
stellt.
Beim Staat ist eine Entstehung aus dem absolut unstaatlichen Zustand, nämlich
aus dem „Urvertrag“ begrifflich wie geschichtlich ausgeschlossen
1
. S t a a t k a n n
n u r a u s S t a a t entstehen, wie zum Beispiel die neuen Staaten nach der
Auflösung Österreich-Ungarns (Böhmen usw.) aus dem alten Staat durch Ab-
zweigung hervorgingen; er kann aber auch / aus mehr keimhaften Gebilden
entstehen, wie in dem berühmten Beispiel des Auswandererschiffes, auf dem
Auswanderer die Gründung eines Staates beschließen. Hier sind es nicht eigent-
lich (unstaatliche, vorstaatliche) I n d i v i d u e n , die nach der Weise des Ur-
vertrages einen Staat gründen, sondern Staatsglieder, Staatsangehörige, die also
ohnehin einen Teil ihres Staates bilden und diesen Teil nur verselbständigen.
Auch in der Wirtschaft kann nie ein Gebilde, zum Beispiel eine Fabrik, im
eigentlichen Sinne „neu“ gegründet werden, denn eine Fabrik entsteht entweder,
indem ein Handwerksbetrieb zur Fabrik vergrößert, oder indem eine andere
Wirtschaftseinheit und Wirtschaftsweise, zum Beispiel die „Teilhaberschaft“ oder
eine sonstige Wirtschaftsform, und wäre es nur die „Rentnerschaft“ oder die
„Kapitalverwaltung“, nunmehr u m g e b i l d e t wird zur Verwaltung des Real-
kapitals „Fabrik“.
Zusatz über den ersten Anfang
Der Satz: „Ganzes stammt nur aus Ganzem“, legt die Frage des ersten Ent-
stehens nahe.
Der erste Anfang eines Ganzen liegt nicht in einem noch früheren Ganzen,
was ins Unendliche ginge, er kann nur in einer h ö h e r e n E b e n e , im un-
ausgegliederten Grund der Ganzheit liegen.
A l l e r e r s t e A n f a n g i s t S c h ö p f u n g , n i c h t U m b i l d u n g .
Daher jeder Darwinismus und Evolutionismus, in dem Sinne, daß sich aus be-
stimmten Dingen Dinge anderer Art entwickeln sollen, ebenso falsch ist wie das
Entstehen von Dingen aus andersartigen Dingen durch Mechanismus und Chemis-
mus. (Auch chemisch gesehen „entsteht“ zum Beispiel Wasser nicht aus Wasser-
stoff und Sauerstoff, sondern aus der Wasserheit, allerdings auf G r u n d von
Wasserstoff und Sauerstoff.) Das Wessobrunner Gebet aus dem Beginn des
9. Jahrhunderts n. Chr. sagt: „Das erfuhr ich unter den Menschen als der
Wunder größtes, daß die Erde nicht war, noch darüber der H i m m e l . . ( u s w . ) .
Wo war dann „im Anfang“ die Welt? — sie war im tiefsten Vorsein, im Geiste
des Schöpfers. Ihre Antezedentien liegen also nicht in einem noch früheren Ur-
nebel oder dergleichen. Zu einem wahren Anfang gehört, daß man das Genus
wechsle, auf Zustände anderer Ebene zurückgehe — gerade das aber nennt man
schaffen.
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Nähere Nachweisungen darüber in meinem Buch: Gesellschaftslehre, 2. Aufl.,
Leipzig 1923, S. 464 [3. Aufl., Leipzig 1930, S. 518].