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Des Aristoteles „unbewegter Beweger“ ferner ist in genauem Sinne jener
Grund, der selbst nicht erscheint, jenes in sich Verharrende, das sich nicht
veräußert, das aber Bewegung und Erscheinung hervorruft, wie es der Begriff
des Fünkleins verlangt. Der Begriff des unbewegten Bewegers ist freilich me-
chanisch nicht faßbar, aber darum doch ein vollkommen klarer, zu Ende denk-
barer, ja nüchterner Begriff. Aristoteles gebraucht für den unbewegten Beweger,
wie bekannt, das Bild des geliebten Gegenstandes, der, ohne sich selbst zu be-
wegen, den Liebenden bewegt.
Auf dieselbe Weise bewegt in der i n d i s c h e n S a m k h y a - L e h r e der
Puruscha, der Gottesfunke, der selbst nur „Zuschauer ist“, die Prakriti, das heißt
die Natur, daß sie gebiert und sich endlos regt. — Bei P l o t i n findet sich die
berühmte Formel:
όλη έν πάσι μέρεαι τον έν φ έστιιν , . . καί έν ότφονν αύτοϋ δλη
1
. Ebenso
die
S c h o l a s t i k .
Der
Satz
des
Thomas:
„anima
est
tota
in toto corpore et tota in qualibet eius parte“; „Die Seele existiert als ganze im
ganzen Leibe, als ganze aber auch in jedem Teile des Leibes“ — soll von der Plo-
tinischen Formel herrühren
2
. Indessen ist hier nicht der Ort, darauf einzu-
gehen. Nur / auf Fichte und die Neuscholastik sei noch, um der besonderen
Fassung willen, hingewiesen.
Zusatz
3.
Über Fichtes Lehre von der Selbstsetzung des Ich
An der nicht hinreichend scharfen Beachtung des Unverbrauchten, Unveräußer-
lichen ist Fichtes Ableitung in der Wissenschaftslehre gescheitert. Nach dem Satz:
„das Ich setzt sich selbst“, müßte das unverzehrbare und unerscheinbare Ich als be-
fassender Einheitsgrund Zurückbleiben. Bei Fichtes Ableitung der Natur in der
Wissenschaftslehre aber sinkt das a b s o l u t e Ich trotz mancher Vorbehalte als-
bald zum e n d l i c h e n Ich herab (veräußert sich darin), s o b a l d es sich „setzt“
(sich im Entgegensetzen = Objekt setzen, setzt, wie Fichte richtig sagt); denn
„Setzen“ heißt hier verendlichen, veräußerlichen, also sich erschöpfen, weil es ein
vollständiges Sich-Setzen ohne Zurückbleiben eines Ungeschiedenen ist. Wenn aber
das Unendliche sich v o l l s t ä n d i g verendlicht, dann bleibt nur eine imma-
nente, eine im Objekt versteinerte, tote Welt übrig — Fichte mußte diese traurige
Folgerung ziehen und konnte die Welt darum nur als Objekt bestimmen, was er
in der Form tat, daß es ein s i t t l i c h e s Objekt sei (dadurch wurde schließ-
lich der ganze Selbstsetzungsvorgang nur als s i t t l i c h e Aufgabe bestimmt).
Man begreift, daß Schellings Naturphilosophie diese Austreibung des Lebens
rückgängig machen mußte. Aber sie verfiel zunächst in Pantheismus, in Vermi-
schung des Ausgliedernden mit dem Ausgegliederten. Erst der spätere Schelling
machte diesen Mangel vollständig gut.
Zusatz 4. Die Neuscholastik
hat für den Begriff des Fünkleins in ihren Lehrbegriffen vollen Raum. Die
nachstehende Äußerung möge dies beweisen und auch um ihrer treffenden Formu-
lierung willen hier Platz finden. In Lehmens „Lehrbuch der Philosophie“ lautet ein
Lehrsatz: „Die menschliche Seele ist im ganzen Leibe und in jedem Teile des-
1
Plotin: Enneaden, übersetzt von Otto Kiefer, 2 Bde, Jena, Leipzig 1905,
IV, 21.
2
Thomas von Aquino: Summa theologica, angeführt bei Josef Geyser:
Lehrbuch der allgemeinen Psychologie, 2 Bde, 2. Aufl., Münster 1912, Bd 1,
S. 367, der denselben Standpunkt einnimmt und ihn auch für K a n t belegt.