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Es ist die lebendigmachende Ebenbildlichkeit, die vita propria des

Gliedes, welche verhindert, daß die Ganzheit durch Abstufung me-

chanisiert und abgetötet würde. Es ist ein Wechselspiel von auf und

nieder, ein Bestandwechsel von oben und unten, durch den die

Ganzheit alle Glieder von allem verkosten läßt.

In dieser Erkenntnis liegt das letzte Geheimnis aller Gesellschafts-

gestaltung, aller „sozialen Reform“ beschlossen.

Das praktisch wirksame Baugesetz der Ganzheit, das sich aus dem

Satz: „Nichts ist nur Mitte; nichts ist nur Umkreis“, ergibt, ist

aber das der V i e l m i t t i g k e i t o d e r D e z e n t r a l i s a -

t i o n , / d a s i s t d e r w e c h s e l n d g e b u n d e n e n S e l b -

s t ä n d i g k e i t d e r G l i e d e r . Es liegt klar zutage, daß wir

hier nicht nur etwa organisatorische oder politische Grundformen,

sondern ein Baugesetz aller wahren Ganzheit, wo und was immer sie

sei, vor uns haben. Gilt dies, dann darf man in bezug auf den Staat

sagen: Der Lehensstaat ist das Abbild des Weltalls. Ist doch alles

Lebendige und Ganze auf seine Weise lehensmäßig, dezentralisiert,

vielmittig gebaut; von der Schlußkette bis zum Organismus, von

der Sprache bis zum Kunstwerk; selbst von Heer und Kirche, den

am meisten vereinheitlichten Organisationen, bis zur Familie gilt

dasselbe Baugesetz

1

.

S c h o n d a s E i g e n l e b e n d e r G l i e d e r b e d i n g t

D e z e n t r a l i s a t i o n . Denn das jeweils befassende, höhere

Zentrum enthält in sich zwar die Möglichkeit des unteren Gliedes,

ist aber nicht selbst dessen Auswirkung. Bei der Auswirkung

kommt also noch Eigenes, Selbständiges dazu — etwas Unabgeleite-

tes, etwas, wofür das Glied seine eigene Mitte ist, seine eigene Aus-

gliederungsmacht. Was wäre denn sonst für E i g e n - Leben,

E i g e n - Macht, vita p r o p r i a des Gliedes übrig? Soll darum

die lebendigmachende Ebenbildlichkeit kein leeres Wort bleiben, so

muß begriffsgemäß Vielmittigkeit oder Dezentralisation den Bau

des Ganzen bestimmen. Nur Dezentralisation ermöglicht geglieder-

tes Leben. Einmittigkeit, Zentralisation ist Mechanisierung.

Denkwürdig ist, daß auch hier die Ganzheitslehre allein dazu

kommt, dem einzelnen Ding volles Recht und Gerechtigkeit wider-

fahren zu lassen, während nach dem kosmischen wie gesellschaft-

1

Näheres siehe in meinem Buch: Gesellschaftslehre, 2. Aufl., Leipzig 1923,

S. 246 f., 428 und öfter [3. Aufl., Leipzig 1930, S. 233 f., 428 f. und öfter].