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Die Gezweiungsverbundenheit, die durch Wissen und Gestalten
gegebene Verbundenheit mit der Ideenwelt, die Pflichtverbunden-
heit an Amt, Geschäft, Betrieb ergeben die l i e b e n d e , w i s -
s e n d e , k ü n s t l e r i s c h e u n d h a n d e l n d e P e r s ö n -
l i c h k e i t . Die höchste Rückverbindung sodann, die Abgeschie-
denheit, verleiht die letzte Vollendung der Persönlichkeit. Sie
schafft den h e l d i s c h - h e i l i g e n Menschen.
Diese Wahrheit ist der Mystik aller Zeiten wohlbekannt. Was hier Persön-
lichkeit, ist dort Verklärung zu nennen. Dafür einige Zeugnisse.
M e i s t e r E c k e h a r t sagt: Der Mensch „ist nicht davon selig, daß Gott
in ihm ist...; aber davon, daß er erkennt, wie nahe ihm Gott ist, und daß er
Gott wissend und minnend ist.“
1
Dieses „Erkennen“ ist nicht rational zu fas-
sen, wie auch der Zusatz „minnend“ bezeugt, wir haben darunter vielmehr die
Selbstaufhebung, die Persönlichkeit schafft, zu verstehen.
In den i n d i s c h e n U p a n i s c h a d e n heißt es: „Was nun diese Voll-
beruhigung [die Seele im Tiefschlafe] ist, so erhebt sie sich aus diesem Leibe,
gehet ein in das höchste Licht und t r i t t d a d u r c h h e r v o r i n e i g e n e r
G e s t a l t“, das heißt wird durch Rückverbindung zur Persönlichkeit
2
.
Jede tiefere Zergliederung des Wesens der Ichheit ist dazu gekommen, ihre
Wurzel in der Selbstaufhebung zu finden. Daß in der s c h o l a s t i s c h e n
P h i l o s o p h i e der Begriff der „individualitas“ im Sinne von Persönlichkeit
nicht gefehlt hat, ist bekannt, aber die Darlegung dieses Gedankenganges wäre
an dieser Stelle zu weitläufig
3
. Dagegen sei auf die „transzendentale Apperzep-
tion“ K a n t e n s hingewiesen, von der wir oben darlegten
4
, daß sie zuletzt
nichts anderes ist als jene reine Aktivität, jenes Ausgliederungszentrum, in wel-
chem das Ganze unseres Bewußtseins s i c h s e l b s t erst findet — weil das
Aktive /in ihm ist, sein Quell, sein Höheres — und dadurch erst das Bewußt-
sein zum Selbstbewußtsein, die Ganzheit (des Bewußtseins) zur Ichheit macht.
Deutlicher hat dies F i c h t e in seinem grundlegenden Satz: „Das Ich setzt
sich selbst“, ausgesprochen. Diese „Selbstsetzung“ ist nichts anderes als die abso-
lute Spontaneität der „transzendentalen Apperzeption“, sie ist dieselbe spontane
Aktivität, zu der alles zurückdrängt und in der alles, wie wir sagen würden,
seine Rückverbundenheit oder Selbstaufhebung findet, was sich als aktuiertes
Bewußtsein darstellt (Fichtes Spätlehre fügte noch die Rückverbundenheit in Gott
hinzu).
1
Meister Eckehart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, Göttingen 1857, S. 221,
Zeile 17 [2. unveränderte Aufl., Göttingen 1906] (= Deutsche Mystiker des
vierzehnten Jahrhunderts, Bd 2).
2
Chândogya-Upanishad 8, 3, 4, in: Sechzig Upanishads des Veda, aus dem
Sanskrit übersetzt von Paul Deussen, 2. Aufl., Leipzig 1905, S. 191 — von mir
gesperrt.
3
Die Grundlage dafür ist der aristotelische Satz:
„ένέργεια χωρίξει“,
Aktuiert-
heit trennt, was weiterhin zu dem Satze führt: Alles Wirkliche ist Einzel-
wesen. Vgl. Otto Willmann: Philosophische Propädeutik, Bd 3: Historische Ein-
führung in die Metaphysik, Freiburg i. Br. 1914, S. 89, 62 und öfter.
4
Siehe S. 34 ff.