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Diesen Gedanken hat auch der j ü n g e r e F i c h t e festgehalten, wenn auch
seine Darlegung an Schärfe zu wünschen übrig läßt. Er äußert sich darüber in
seiner „Psychologie“ in folgender Weise: „ D a s . . . Wesen unseres Geistes ent-
wickelt zunächst seine Grundanlagen an der Wechselwirkung mit dem Andern
[nämlich der Außenwelt] zum B e w u ß t s e i n dieses A n d e r n . . e s wird
darin zum „S u b j e k t“, einem „O b j e k t“ gegenüber . . J e d o c h sagt
Immanuel Hermann Fichte, es könnte nicht verborgen bleiben, „daß i n n e r -
h a l b des Rahmens jener... Grundverhältnisse es bestimmte Bewußtseins-
zustände gibt, welche sich durchaus nicht erklären lassen aus der bloßen W e c h -
s e l w i r k u n g von . . . Geist und Außenwelt, bei d e n e n w i r v i e l m e h r
e i n v o n I n n e n h e r a u f d e n G e i s t u n d s e i n B e w u ß t s e i n
w i r k e n d e s P r i n z i p a n z u e r k e n n e n g e n ö t i g t s i n d . . . ein Ver-
hältnis daher, in welchem... ein Höheres in [den Geist] eingeht, E i n s mit
ihm wird und d u r c h i h n sich offenbart“
1
.
Zusatz über einige Einwände
(1) Der Einwand, unser Persönlichkeitsbegriff schließe die P e r s ö n l i c h k e i t
G o t t e s aus, da Gott nicht in einem Höheren rückverbunden sei, wäre unzu-
treffend. Unser Persönlichkeitsbegriff ist allerdings von der Analysis des Aus-
gegliederten hergenommen. Und auf der Ebene des Vorseins, das heißt hier
Gottes, kann das Merkmal der Rückverbundenheit in einem Höheren im buch-
stäblichen Sinne freilich nicht mehr gelten. Das widerstreitet aber dem durch-
dachten Theismus nicht, welcher der Gottheit Persönlichkeit zuspricht, eine
Wahrheit, der wir uns anschließen. Aber bei Gott handelt es sich um den Begriff
der a b s o l u t e n P e r s ö n l i c h k e i t , der schließlich nicht nach endlichen
Kategorien bestimmt werden kann. Das Ausgegliederte bedarf der Rückverbin-
dung, und zwar der höchsten, unmittelbarsten zu seiner eigenen Überhöhung,
um zur Persönlichkeit zu gelangen. Das Rückverbindende, Gott, bedarf dagegen
dieser letzten Begründung oder Selbst- / Überhöhung durch ein Höheres nicht
mehr, weil es schon seinem Wesen nach vollkommene Selbstbegründung, Zen-
trierung, Selbstmächtigkeit ist. Gerade die Rückverbindungskategorien eröffnen
uns daher in bisher nicht erreichtem Maße das Verständnis der absoluten Per-
sönlichkeit; indem sie nämlich die Mittel zeigen, durch welche das Ausgegliederte
(die Wesen spurenweise, der Mensch in hohem Maße) zur Persönlichkeit gelangt.
Ohne das absolute Sein durch Vermenschlichung zu verkleinern, zeigt uns der
Begriff der Rückverbindung Züge an ihm, die wir als höchste Persönlichkeit ver-
stehen, kein unpersönliches Pneuma!
(z) R e c h t f e r t i g u n g d e r v i e r B e s t a n d t e i l e d e r P e r s ö n -
l i c h k e i t . — G a n z h e i t , P e r s ö n l i c h k e i t , S u b s t a n z . Man könnte
sagen, unser Persönlichkeitsbegriff sei zu verwickelt, es genüge, Individualität und
Persönlichkeit zu unterscheiden. Ganzheit, Eigenleben der Ganzheit sei ja schon
Persönlichkeit, denn sie habe ihrem Begriff nach den inneren Einheitspunkt in sich.
Die nähere Überlegung zeigt aber, daß Eigenleben, Unberührbarkeit und
Selbstaufhebung dennoch unterschieden werden müssen. Die aus Eigenleben
wie Unberührbarkeit folgende innere Selbstbezogenheit ist nur in der Geschlos-
senheit nach außen, nur dem „Objekt“, dem „Reiz“ gegenüber da. Man muß
begreifen, daß niemand sich sozusagen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen
kann, sondern jeder sich irgendwo anhalten, das heißt von Anderem unter-
1
Immanuel Hermann Fichte: Psychologie, Die Lehre vom bewußten Geiste
des Menschen, 2 Bde, Leipzig 1864—73, Bd 1, Leipzig 1864, S. XXIV f.