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als bloßes Nebeneinander wären die Vielen ferner auch unbestimmt
und unbestimmbar, weil das absolut Autarke (und nur dieses ist
bloßes Nebeneinander) auch beziehungslos wäre und Beziehungs-
losigkeit Unbestimmbarkeit ist; als unbestimmbar wären sie end-
lich das apeiron, also chaotisch, also abermals nicht bestandfähig,
also abermals nichts, nichtseiend
1
.
Demnach dürfen wir im strengen Sinne nicht von „Einheit und
Vielheit“ sprechen. Um diese Begriffe streng zu bezeichnen, müs-
sen wir vielmehr von Einheit oder Ganzheit der Ausgliederung
durch Rückverbindung, sowie von Einheit und den (im Einheits-
grund mittelbar identischen) Gliedern sprechen.
Gegen den Begriff der „Einheit“ ist nichts einzuwenden, es han-
delt sich aber um seine richtige Erläuterung und diese liegt im Be-
griff der Ganzheit. Diesem gemäß steht weder „Einheit“ / noch
„Eins“ der „Vielheit“ als G e g e n s a t z gegenüber, Einheit und
Vielheit dürfen nicht als Gegensätze aufgefaßt werden, so daß es
Einheit ohne Vielheit oder Vielheit ohne Einheit gäbe; noch auch
kann die Einheit, was sehr wichtig ist, eine n a c h t r ä g l i c h e
„Zusammenfassung“, „Vereinheitlichung“ oder „Synthesis“ des
„Vielen“ oder der Glieder sein. Die Einheit, als Ganzheit begrif-
fen, ist logisch vor den Gliedern. Einheit im ganzheitlichen Sinne
ist der hervorbringende Ausgliederungsgrund, der sich in den Glie-
dern darstellt, nicht aber sich ihnen gegenüberstellt, der sich ferner
in den Gliedern s i n n v o l l darstellt, was die Bestimmung der
Glieder als „viele“ abermals ausschließt; der sich endlich in den
Gliedern nicht erschöpft, was aber der Einheit als „Eins“ nicht zu-
kommt und überhaupt jede mengenhafte Bestimmung ausschließt.
Damit wird also auch die Einheit im Sinne des dialektischen Ver-
fahrens Hegels, die Synthesis ist, ausgeschlossen. Denn es zeigte sich
ja, daß die Einheit, als Ganzheit begriffen, keine nachträgliche
Synthesis sein könne, weil dann die Teile schon vor der Synthesis,
also vor dem Ganzen wären
2
. Überall wo Ganzheit ist, ist sie vor
1
Vollgültig erklärte schon Platon im Parmenides (Kapitel 22, desgleichen
„ S o p h i s t e s . . d a ß das Andere (die Teile, die Vielheit der Dinge,
άλλα
), um
nicht unbestimmbare, unbegrenzte Vielheit zu sein, eine d u r c h d i e E i n -
h e i t b e s t i m m t e Vielheit sein müsse. („Und doch wird auch das Andere
[die Vielheit] nicht ganz und gar des Eins beraubt“, Parmenides 157 C, vgl.
158 Cff.; „ohne Eins ist Vieles anzunehmen unmöglich“, 166 B.)
2
Vgl. unten S. 360 ff.