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den Möglichkeiten einiges ausgeführt, w i r k l i c h werde. Man

sieht, wie eng Möglichkeit und Wirklichkeit mit dem Begriff der

Freiheit verbunden sind, man sieht auch, wie es sich hier um ab-

g e l e i t e t e K a t e g o r i e n d e s E i g e n l e b e n s handelt.

Werden Möglichkeit und Wirklichkeit von diesem Standpunkt

der Ausgliederung und des Eigenlebens her betrachtet, so ergibt

sich auch, daß genetisch zwar immer das Wirkliche vor dem Mög-

lichen sei (das wirkliche Pferd ist vor dem möglichen, wie Aristote-

les richtig sagte), daß aber dem Wesen der Sache nach das Mögliche

vor dem Wirklichen ist, wie gegen die Aristoteliker festgestellt

werden muß. Denn die Möglichkeit ist nichts als die / Ganzheit im

Vorsein, ein Sein höherer Ordnung, und dieses Sein (sei es der pla-

tonischen Idee, der aristotelischen Form oder der noch unausge-

gliederten Ganzheit, der Ganzheit an sich) kann wirklich werden

oder nicht. Von ihm, vom Möglichen hängt es ab, was wirklich ist

oder werden kann, nicht vom Wirklichen, was möglich ist

1

.

IV. Notwendigkeit und Freiheit

Sie sind dem ganzheitlichen Denken kein ursprüngliches Gegen-

satzpaar, sondern ergeben sich ebenfalls aus der Kategorie des Eigen-

lebens. Erst vom Eigenleben der Ganzheit und des Gliedes her sind

die Begriffe der Notwendigkeit und Freiheit verständlich. Sie er-

weisen sich anders, als sie vom mechanischen Standpunkt aus erschei-

nen. Dieser geht von der blinden Notwendigkeit aus, der mechani-

schen Ursächlichkeit, dem naturgesetzlichen Determinismus und

muß daher die Freiheit als Inbegriff von Unbestimmtheit, Undeter-

miniertheit und das heißt reiner Willkür denken. In diesem Sinn

wäre Freiheit allerdings ein Unbegriff. Wir haben oben den wahren

Sinn der Freiheit erkannt, als jenes Eigenleben nämlich, das infolge

seiner Gliedhaftigkeit an den Rahmen der Ganzheit und seine

eigene Gliedstellung gebunden ist. Hier ergibt sich also die Bindung

oder Notwendigkeit (Determiniertheit) nur als die andere Seite

der Freiheit, nicht als ihr ausschließender Gegensatz. Freiheit und

Notwendigkeit bedingen einander. Sie sind auch keine ursprüng-

1

Vgl. dazu mein Buch: Der Schöpfungsgang des Geistes, Jena 1928, S. 96 ff.

und öfter (= Ergänzungsbände zur Sammlung Herdflamme, Bd 3).