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heit vor ihrer Entscheidung, so daß die Freiheit also nicht logisch

später, nämlich erst als Sein-Können, auftreten kann.

Der springende Punkt liegt demnach in Wahrheit darin, daß die

Freiheit, die auch, wie Schelling fordert, die Möglichkeit, nicht ins

Sein überzugehen, einschließt, logisch vor dem Sein liegen müsse.

Das was sich selbst entweder hervorbringen oder auch nicht hervor-

bringen kann (was also nicht mit mechanischer Notwendigkeit ist),

hat die freie Entscheidung sich zu setzen, sich hervorzubringen oder

nicht. Setzt es sich, ruft es sich ins Sein — was ist dies dann für ein

Akt? Das dünkt uns die entscheidende Frage! Kein anderer als der

eines Sich-Determinierens, Sich-Bestimmens, Sich-Verwesentlichens

zum Sein: Nur w e s e n s b e s t i m m t e s S e i n a l s o k a n n

g e s e t z t w e r d e n . W e s e n i s t S e i n u n d S e i n i s t

W e s e n . Es gibt nur wesenhaftes Sein und nur seiendes Wesen.

Ein „unvordenklich Seiendes“ dagegen, das zuletzt ein leeres Sein

wäre, ist nicht zu Ende denkbar, ist ein Unbegriff.

Wie allerdings jener Urzustand zu kennzeichnen wäre, in wel-

chem sich das Absolute befindet, ehe es von der Freiheit, sich zu set-

zen, Gebrauch gemacht hat, das vermag kein Gedanke aus- / zuden-

ken. Aber als ein bestimmungsloses Sein, das wäre gerade wieder ein

blindes Sein, kann es keinesfalls gedacht werden.

Das gilt von der transzendenten Ebene. Nun zum Begriff des

Wesens konkreter Dinge, zum Beispiel des Steines oder Menschen.

Rein begrifflich gesehen, dünkt uns die Erwägung maßgebend,

daß es zum Wesen des Begriffenen gehöre, auch zu sein. Der Be-

griff eines Wesens, das nie und in keiner Weise wäre — was könnte

das wohl für ein Begriff sein? Entweder der Begriff eines Unwe-

sens, zum Beispiel „Flügelpferd“, oder eines wirklichen Wesens.

Die genaue anatomische Kenntnis des Pferdes, also der genaue Be-

griff zeigt aber, daß im Bau des Organismus große Änderungen an-

genommen werden müßten, um als geflügeltes bestehen zu können.

Der Wesensbegriff des „Flügelpferdes“ ist demnach ein wider-

spruchsvoller Begriff, ein Unbegriff. Im richtigen Begriff des We-

sens liegt es also zugleich, daß die Existenz zuletzt zu ihm gehöre

1

.

Rein begrifflich gesehen, kommt die „Existenz“ zum „Wesen“ nicht

als etwas grundsätzlich anderes hinzu.

1

Weiteres darüber in meinem Buch: Der Schöpfungsgang des Geistes, Jena

1928, S. 106 ff. (= Ergänzungsbände zur Sammlung Herdflamme, Bd 3).