Z w e i t e r A b s c h n i t t
Kategorienlehre und Ontologie
Die Lehre von den Seinsweisen ist nur die Grundlage für die
Seinslehre, aber noch nicht diese selbst. Sie steht ihr allerdings näher
als anderen Lehren, für die sie gleichfalls grundlegende Begriffe
lehrt, zum Beispiel der Sittenlehre durch die Formen der Vollkom-
menheit in den Kategorien. Aber die Sittenlehre empfängt auch
durch die Gesellschaftslehre und die Metaphysik ihre Grundlegung.
Darum steht die Kategorienlehre der Ontologie am nächsten.
Was die Kategorienlehre zur Ontologie hinausführt, ist der Be-
griff der Ganzheit. Und zwar sind es vor anderen zwei Begriffe,
die hier von Bedeutung werden: das Ganzheitliche des Seins selber
und das Verhältnis der Ganzheiten untereinander, deren Erkennt-
nis die Grundlage der erfahrbaren Gliederung der Welt liefert.
I. Der Begriff des Seins
A. Das S e i n a l s u n t e r b r o c h e n e s , u n a u f h ö r l i c h
n e u g e s e t z t e s
Wiederholt führte uns die Erörterung der Weisen auf die Er-
kenntnis: daß der Begriff des Seins im Sinne eines fixierten, einmal
schlechthin daseienden und daher auch dableibenden Seins — wie er
etwa in der Meinung zum Ausdruck kommt: dieser Stein ist, das
heißt seine träge Masse, sein Kilogewicht kann nicht / mehr aus der
Welt geschafft werden, diese Atome s i n d als Letzte, Einfache,
Unzerstörbare — daß dieser Seinsbegriff ein fehlerhafter Begriff, ja
zuletzt ein Unbegriff, ein unvollziehbarer, nicht zu Ende denkbarer
Begriff ist. Alles Sein ist unaufhörliches Neu-Ausgegliedertwerden,
a l l e s S e i n i s t u n t e r b r o c h e n e s o d e r i n t e r m i t -
t i e r e n d e s S e i n in dem Sinne, daß es immer wieder zunichte