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kaum entstanden, in seinem Dasein aufgehoben wird. Wäre nicht
fortwährendes Vergehen und Entstehen, Absterben und Wiederauf-
leben im organischen Sein, so gäbe es die Erscheinungen von Nah-
rungsaufnahme, Verdauung, Blutkreislauf, Atmung, Sekretion und
Ausscheidung aller Art nicht, kurz, der ganze physiologische Lebens-
vorgang beruht auf jener unaufhörlichen Suspension des organi-
schen Seins!
Im Kristall sind — selbst vom Standpunkt des Mechanisten und
Atomisten aus gesehen — grundsätzlich gleichartige Erscheinungen
der fortwährenden Aufhebung und Neuentstehung des Seins vor-
handen; und ähnlich in der chemischen Welt. Nach Darlegung der
Unterschiede zwischen Kristall und Organismus sagt der Mechanist
und Atomist Stöhr, also gewiß ein unverfänglicher Zeuge: „Wir
können suchen, wie wir wollen, wir finden zwischen dem unbeleb-
ten ... kristallisierten Aggregat / und dem belebten... Aggregat
keinen anderen wesentlichen Unterschied als den d e r . . . Assimila-
tion“, nicht aber, führt Stöhr aus, den des Stoffwechsels überhaupt
1
.
Auch abgesehen von dem Begriff des Stoffwechsels im engeren Sinn
ist es bekannt, daß die mineralische Welt in den Tiefen und an der
Oberfläche der Erde unaufhörlich durch Zersetzung, Aufnahme und
Abgabe von Stoffen, Umwandlung des Gefüges und so fort in ihrem
Sein dasselbe Vergehen und Entstehen zeigt wie organisches Sein,
wenn auch in langsamerem Schrittmaß. „Obwohl die oberflächliche
Betrachtung der Steinwelt“, heißt es in einem bekannten Lehrbuch
der Mineralogie, „den Eindruck des Ewigen und Unveränderlichen
hervorruft, so genügen doch wenige Beobachtungen an Pseudomor-
phosen, um die Wandelbarkeit der Minerale zu erkennen“
2
. Ja,
diese Veränderungen haben sogar einen entfaltenden Charakter, im
Sinne einer Zunahme der Mannigfaltigkeit. „Es i s t . . . sicher“, sagt
derselbe Verfasser, „daß durch die fortdauernden Umbildungen der
Minerale die Mannigfaltigkeit in der Zusammensetzung der Erd-
rinde beständig zunimmt“. — Daß solche Mannigfaltigkeit nur
ganzheitlich gedacht werden kann, ist eine Erkenntnis, welche die
1
Adolf Stöhr: Der Begriff des Lebens, Heidelberg 1909, S. 255 (= Synthe-
sis, Bd 2); vgl. im selben Sinn auch Walter Lehmann: Flüssige Kristalle und die
Theorie des Lebens, 2. Aufl., Leipzig 1908.
2
Gustav Tschermak: Lehrbuch der Mineralogie, bearbeitet von Friedrich
Becke, 8. Aufl., Wien 1921, S. 378.