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kalischen wie im ontologischen Sinn keine andere als stets neu ent-
stehende Energie.
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Auch das Weltbild der Physik also zeigt ein Kommen und Gehen
und widerspricht nicht dem Begriff der fortwährenden Neuausglie-
derung. Der Begriff der „Konstanz“ hat dabei nur den Zweck zu be-
tonen, daß im ewigen Wechsel des Werdens die quantitative Erfas-
sung möglich ist, wofür man das B i l d der „Erhaltung“ nimmt.
Unserem Seinsbegriff widersprechend ist dagegen der Begriff des
Atoms. Das Atom muß unausweichlich ein fixiertes, in sich gleich-
bleibendes Sein in sich schließen, wobei es bedeutungslos ist, ob es
sich um harte, unelastische Masseteilchen, nach Demokrit, oder um
Planeten-Elektronen, die einen Kern umkreisen, nach den neuesten
„Modellen“, handelt. Indem im Korpuskel notwendig ein Letztes,
Einfaches gegeben ist, ist auch das absolut Konstante, Unzerstör-
bare, Unveränderliche mit ihm gegeben; also das Gegenteil des
intermittierenden, stets neu ausgegliederten Seins; damit aber fer-
ner: das, was von sich aus die Welt zusammensetzt, der Teil, der vor
dem Ganzen ist; damit stellt sich all der Widersinn unentfliehbar
ein, den wir oben
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auf gedeckt haben. Da der Satz: „Der Teil ist
vor dem Ganzen“, absolut unvollziehbar ist, ist es begreiflich, daß
ihn noch kein einziger großer philosophischer Denker, kein einziges
hohes philosophisches System — von den indischen Upanischaden
bis zum deutschen Idealismus — annahm. Hier, wie bei allen letz-
ten Kämpfen, muß das Helmgitter gelüftet werden. Der Atomismus
der modernen Physik, gegen den kein Geringerer als Mach an-
kämpfte, ist keine Erfahrungshypothese, sondern — das soll man
wissen! — im letzten Grund eine Frucht der materialistischen, em-
piristischen und unmetaphysischen Gesinnung der Zeit, die überall
den Satz zur Geltung bringen möchte: Der Teil ist vor dem Ganzen.
„Ausgliederung“ dagegen kennt kein letztes Einfaches, kein Atom,
da sie sich nur in G l i e d e r n darstellt. Glieder aber sind nicht
absolut Unterstes nach dem Satz: „Nichts ist nur Umkreis, nichts
ist nur Mitte.“ / Gäbe es je irgendwo ein letztes Einfaches, dann
gälte auch der Satz: „Der Teil ist vor dem Ganzen“, denn dann wäre
das Ganze nicht mehr ausgliedernd, sondern jenes letzte Einfache
setzte es zusammen. Darum ist der Atombegriff in seinen geistes-
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Siehe S. 71 ff.