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noch die Ganzheit „Wirtschaft“ von ihm erzeugt wurde; oder gleichwie ein
Minister Schreiber anstellt, aber weder die mechanischen Gesetze des Schreibens
noch die Chemie der Tinte stört, während anderseits doch er es ist, der die Schrei-
berkanzlei ausgliedert (einrichtet), nicht aber die Schreiber ihn zum Minister
machen; oder gleichwie, um noch ein besonders deutliches Beispiel anzuführen,
der Gärtner zwar Pflanzen zieht, aber die Gesetze der pflanzenphysiologischen
Vorgänge nicht ändert — so auch im Verhältnis aller Ganzheiten zueinander, so
auch im Verhältnis von Leib und Seele! Der Gärtner hat gar keine Möglichkeit,
physiologisch-organische Seinsform selbst anzunehmen, und doch zieht er Pflanzen.
Er erreicht dies durch S e t z u n g d e r „ V o r b e d i n g u n g e n“, das heißt
d u r c h d i e i h m u n d d e n P f l a n z e n g e m e i n s a m e n Z e n t r e n
h i n d u r c h .
Die Frage des Verhältnisses von Seele und Leib ist darum, wie diese Beispiele
zeigen, eine F r a g e d e s V e r h ä l t n i s s e s v o n G a n z h e i t e n z u -
e i n a n d e r
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, nicht aber des Herabsteigens einer höheren Ganzheit in eine
niedere oder einer Störung der Ausgliederung und der Gesetze der niederen
Ganzheit durch die höhere, wie sie vorliegen müßte, wenn die Ganzheitsebene
„Geist“ auf die Ebene „Energie“ herabstiege und dort „wirkte“. Weisegemäß
steht fest, daß die höhere Ganzheit die niedere nicht stört; dieses lehren die
Weisen des Stufenbaues, der Vermittlung, des Eigenlebens, der Befassung, der
Unberührbarkeit der Teilganzen und Glieder. Die letztere Weise zeigt uns auch
den wahrhaften Weg, nämlich den, der über den Umweg der gemeinsamen
Zentren durch Z u a r t u n g u n d V e r g a n z u n g gegeben ist.
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B. Das W e s e n d e s S c h a f f e n s
Daß der Begriff des Seins als eines geborenen und dem Gliede ver-
liehenen und immer wieder neu geborenen und verliehenen, das
heißt nicht nur als eines irgendwann einmal e n d g ü l t i g geschaf-
fenen Seins, sondern als eines immer wieder umgeschaffenen Seins
(oder eines stets neu Werdenden) in den heutigen Naturwissen-
schaften nicht längst zum Durchbruch gekommen ist, hat seinen
Grund in zweierlei: sowohl in der atomistischen Verderbnis unseres
Denkens als auch in der mangelhaften Vorstellung vom Wesen des
Schaffens. Um zu begreifen, was Schaffen sei, muß man vor allem
dessen gewiß sein, daß k e i n S c h a f f e n a u s e i n e m
ä u ß e r e n S t o f f e r f o l g t , sondern ein Schaffen „ a u s d e m
N i c h t s “ ist. Ein anderes Schaffen als ein solches aus dem Nichts
kann es nicht geben. Dies gilt es nun zu erweisen.
Unsere Erfahrung zeigt auf allen ganzheitlichen Gebieten — den
organischen, geistigen, gesellschaftlichen — allerdings nirgends eine
Urschöpfung. Alles Schaffen in unserer Erfahrung ist nur ein Um-
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Siehe unten S. 330 ff. und 333 ff.