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dem Sinn, als ob Stoff oder substantielle Wesenheit des Schöpfers
abgegeben (überfließen, emanieren) würde. Die Schöpfung ist durch
den Schöpfer, aber nicht aus dem Schöpfer und in diesem Sinn aus
dem Nichts.
(2)
Sein ist kein ruhendes, in sich verharrendes, sondern ein stetes
Vergehen und Neugeschaffenwerden, ist Rücknahme und Neuaus-
gliederung — ewiger Herzschlag alles Wirklichen!
(3)
Da es ein absolut gleiches Neuausgliedern nicht gibt, hat alles
Dasein die Weise der Umgliederung oder des Umschaffens.
(4)
Jedes Sein ist nicht nur geschaffen, sondern schafft auch, sofern
jedes Glied nicht nur Umkreis, sondern auch Mitte ist.
Die Sätze (2) bis (4), kurz zusammengefaßt, lauten: Alles Sein ist
Werden, alles Schaffen ist Umschaffen, alles Geschaffene ist schaf-
fend.
/
(5)
Alles Sein ist inhaltlich erfülltes Sein, weil Ganzheit ein sinn-
voll Bestimmtes ist; leeres, formales, bestimmungs- oder gestalt-
loses Sein — darum auch „Chaos“ und Materie als bloße absolute
Potenz — ist begriffswidrig. Es liegt im Begriff des Schaffens, nur
ein wesenhaft Bestimmtes zu schaffen. Daher auch essentia und
existentia nicht grundsätzlich zu trennen sind.
Aus der inhaltlichen Bestimmtheit folgt auch:
(6)
Sollen ist früher als Sein; alles Sein ist gesolltes Sein. Damit
tritt von anderer Seite her die Geschöpflichkeit alles Seins abermals
hervor
1
.
Der im Vorstehenden aus dem Wesen der Ganzheit entwickelte
Begriff des Schaffens allein ist es, der vor jedem Einwand und jeder
Tatsache standhält. Er allein ist es auch, der die absolute Leben-
digkeit der Welt verständlich macht und der alles Sein als Gegrün-
detes und immer neu zu Begründendes auf die Urschöpfung aus der
ewigen Urmitte, Gott, hinweist.
II. Bemerkungen über das Verhältnis der Ganzheiten untereinander
Wer das Verhältnis der Ganzheiten zueinander vollkommen ver-
stünde, der verstünde die Welt, nicht nur nach Weisen, sondern auch
1
Vgl. oben § n, S. 107, unten S. 340 ff.