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tote, sondern lebendige Eigenschaften beilegen müssen. Ein Stein
zum Beispiel läßt sich von diesem Standpunkt aus ansehen als Glied
im System der Schwerkraft, sofern er zum Zentrum „Erde“ gra-
viert; er ist selbst Zentrum einem Stäubchen gegenüber, oder als
eigenes „Kräftesystem“ betrachtet. Ferner können auch die chemi-
schen Elemente nicht als „Letzte“ betrachtet werden. Schon allein
der heute wieder anerkannte / Umstand, daß sie sich ineinander
„verwandeln“ können, beweist es. Vergeblich wird man in der Na-
tur nach einem absolut Letzten suchen, stets wird sich ein Punkt der
Umkehrung zeigen, in welchem das vorher Unterste wieder zum
Höheren und Zentralen einem anderen gegenüber wird und nun
selbst ein Unteres unter sich hat. Ein atomistischer Gelehrter er-
örtert zum Beispiel in der Kristallisationslehre die Lehre, „daß im
Kristall dasselbe Atom periodisch zu verschiedenen Molekülen ge-
hört, weil die Atome sich innerhalb des Moleküls hin und her be-
wegen“
1
. Danach könnte also ein und dasselbe Atom Glied mehre-
rer Moleküle oder Zentrum mehrerer Moleküle sein. Wenn auch
hier die Begriffe „Glied“ und „Zentrum“ infolge der mechanisti-
schen Grundvorstellung nur im uneigentlichen Sinne gelten, so ist
es doch bezeichnend, daß selbst der Atomismus zu solchen ganzheit-
lichen Strukturbildern gelangen muß, um sich in den Erscheinun-
gen der Wirklichkeit zurechtzufinden. Das a b s o l u t E r l e i -
d e n d e u n d U n t e r s t e i s t n i r g e n d s i n d e r N a -
t u r z u b e o b a c h t e n
2
.
Die entscheidende aufbauende Bestimmung des Begriffes der Ma-
terie ist nach allem Vorhergehenden — wie wir hier nur kurz be-
merken, nicht ausführen wollen — zuerst die, daß das Materien-
hafte an der jeweilig passiven Stellung des Gliedes liegt. Materie
ist überall das jeweils verhältnismäßig Passive, Geführte, Bestimmte;
das aber nach dem Satz: „Nichts ist nur Mitte, nichts ist nur Um-
kreis“, niemals rein und absolut passiv sein kann, weil es in anderen
Beziehungen wieder zum Führenden und Aktiven wird. Da die Ge-
1
Vgl. Adolf Stöhr: Der Begriff des Lebens, Heidelberg 1909, S. 260 (= Syn-
thesis, Bd 2).
2
Ich habe in meinem Buch: Naturphilosophie, Jena 1937 (= Ergänzungs-
bände zur Sammlung Herdflamme, Bd 7) [2. Aufl., Graz 1963, Bd 15 der Ge-
samtausgabe], im Gegenteil eine T a t h a n d l u n g als das Letzte der Natur
nachgewiesen, die Tat der Verräumlichung eines Vorräumlichen, der immateriel-
len Wurzel der Natur.