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„Vollkommenheit“, „Sollen“, „objektives Ideal“ fließt darum

grundsätzlich nicht aus zufälligem Wollen, sondern hat den objek-

tiven Maßstab des Sachgehaltes der Ganzheit. Eines ist der Sach-

gehalt, ein anderes seine Erkenntnis und Würdigung, die unvoll-

kommen bleiben kann.

Aus dieser Einsicht, daß sich das Sein von seinem Inhalt ableitet,

den es eben erst realisiert, folgen von selbst folgende Sätze, die

nicht eigentlich Neues sagen, sondern das Ergebnis unserer früheren

Untersuchungen nur zusammenfassen.

Die Vollkommenheit ist logisch früher als ihre Verwirklichung

(früher als ihr Ausgegliedertwerden). In anderer Formulierung

heißt dies: Das S o l l e n i s t f r ü h e r a l s d a s S e i n . Es

gibt / nur gesolltes Sein. Alle Seinsweisen sind gesollte Weisen,

alles Sein ist ausgewirktes Sein

1

.

Das Gelten ist früher als die Realisierung. Ferner findet der Vor-

rang der Vollkommenheit vor dem Sein auch dem Ideal gegenüber

statt, darum gilt:

Die Wirklichkeit leitet sich vom Ideal ab, nicht dagegen das Ideal

von der Wirklichkeit — im ontologischen, freilich nicht im

psychologischen Sinne. Denn die Vollkommenheit ist ja das Ge-

s o l l t e , als solches das Ideal. Das Ideal ist logisch früher als seine

Verwirklichung; die Ganzheit früher als ihre Ausgliederung.

Diese Sätze können noch ergänzt werden durch den Satz des Ari-

stoteles: „Das Vollkommene ist von Natur früher als das Unvoll-

kommene.“ „τό

γάρ τέλειον πρότερον τή φύσει τον άτελοϋς

.

2

Die-

ser Satz darf auch unserer Kategorienlehre, aus deren Voraussetzun-

gen er sich eindeutig ergibt, einverleibt werden. Denn zu seiner

Annahme ist die platonisch-aristotelische Hypothese eines die Dar-

legung der Idee hemmenden Widerstandes der Materie — aus wel-

cher Unvollkommenheit und Individualisierung erklärt werden sol-

len — nicht notwendig. Er ergibt sich aus jenen Voraussetzungen,

die im Begriff der Vollkommenheit, als im sinnvollen Sachgehalt

der Ganzheit beschlossen, ruhen. Da dieser Sachgehalt vor seiner

Verwirklichung ist, sowohl begriffsgemäß wie nach dem Satz: Das

Ganze ist früher als der Teil, so muß auch das Vollkommene vor

dem Unvollkommenen (der unvollkommenen Verwirklichung) sein.

1

Siehe oben § 11, S. 107 ff.

2

Aristoteles: De coelo, I, 2.