D r i t t e r A b s c h n i t t
Der Glaube
„Glauben“ heißt nicht Fürwahrhalten, sondern ist der allgemeine
Ausdruck der Rückverbundenheit unseres gesamten geistigen We-
sens im letzten Ausgliederungsgrunde, in Gott. „Glaube“ nehmen
wir hier an sich; nicht in seiner am Wissen und an der Kunst ent-
wickelten Gestalt, sondern als Grundteil alles Bewußtseins, aller
entwickelten Bewußtseinsformen. „Das Wort ,Ahnung' sagt jedem,
was das Tiefste im Glauben, was gleichsam der Glaube im Glauben
sei, ein unmittelbares Berührtwerden ohne Gedanken oder Gesicht.
Diesen Glauben im Glauben also nennen wir den Glauben an sich.
Das was in Gebet oder Messe bei Hinwegdenken von Gedanken und
Bild die entblößte Andacht ist, das ist der reine Glaube, von dem
wir hier sprechen.“
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— „Glaube“ in diesem Sinne genommen ist
die Voraussetzung alles Bewußtseins.
F r a n z S c h u b e r t sagt in seinem Tagebuch: „Mit dem Glauben tritt der
Mensch in die Welt, er [der Glaube] kommt vor Verstand und Kenntnissen
weit voraus, d e n n u m e t w a s z u v e r s t e h e n , m u ß i c h v o r h e r
e t w a s g l a u b e n ; er ist die höhere Basis, auf welche der schwache Ver-
stand seine ersten Beweispfeiler aufpflanzt.“
2
— So sprach der Schöpfer des ge-
waltigen „Credo“ in der G-Dur-Messe!
Freilich muß man bedenken, daß Glaube erst a n den anderen
und vornehmlich den höheren Bewußtseinsinhalten zur Ent- / fal-
tung kommen kann, daß Glaube also für sich selbst, als a l l e i -
n i g e B e w u ß t s e i n s e r s c h e i n u n g g a r
n i c h t
m ö g -
l i c h i s t . Der Glaube muß gewußt, gestaltet werden, muß erst im
Handeln sich auswirken. Aber er ist das Urerste des Geistes. Das
1
Siehe meinen Aufsatz: Vorrang und Gestaltwandel in der Ausgliederungs-
ordnung der Gesellschaft, in: Logos, Bd 13, Tübingen 1924, S. 192 f.
2
Franz Schuberts Briefe und Schriften, herausgegeben von Otto Erich
Deutsch, München 1919, S. 51, Eintragung vom 28. März 1824. — In der Ur-
schrift nicht gesperrt.