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[244/245]

da es in so vielen früheren Schriften des Verfassers geschehen ist

1

.

Hier handelt es sich nur um die aus dem Begriffe der Gezweiung

selbst einleuchtende Feststellung, daß ohne jene Auferweckung und

Verlebendigung des Geistes, welche die Gezweiung dem Menschen

verleiht, das heißt, daß ohne jene Kraftquelle, die in dem Mit-

dabei-Sein eines anderen Geistes gelegen ist, der Einzelne niemals

die Kraft und Freudigkeit zur Annahme seiner Eingebungen auf-

bringen könnte. Bei der ersten eigenen Tat des menschlichen Gei-

stes, der Annahme, ist es die Gezweiung, die als entscheidende, bil-

dende Macht auftritt! Nur die Verbundenheit mit einem anderen

Geiste verleiht dem Menschen jene Auferweckung und Kraft, die

zur Annahme einer Vorgefundenen Eingebung (und wäre diese noch

so unbedeutend) als zu einer bestimmten Tat zu führen vermag

2

. /

Die Gezweiung ist aber nicht nur Vorbedingung dafür, daß der

Geist die Kraft zur Annahme aufbringt, sondern es liegt in ihr eine

weitere grundlegende Tatsache beschlossen. In jeder Gezweiung liegt

ein Stück echter H i n g e b u n g , sei es, daß der Gezweite mehr

gebend (zum Beispiel als Künstler), sei es, daß er mehr empfangend

auftritt (zum Beispiel als Publikum); er kann dies stets nur in Hin-

gabe tun. Nicht nur im Geben, auch im Nehmen liegt Hingabe. Der

Zuhörer kann nur durch Hingabe, durch inneres Stillschweigen

hören. Wer sich selbst hört, hört den andern nicht. Darum ist in der

ersten Grundhandlung des Geistes, der Annahme, notwendig eine

Hingabe an den Gezweiten und eine gliedhafte Verbundenheit des

Aktes in einer Gezweiung beschlossen

3

. Hierin liegt ein tiefer

Sinn der Seinsordnung. Schöpfung und Gericht treten zusammen

auf. Der liebe Gott hat dafür gesorgt, daß der Geist schon in seiner

ersten Tat nicht losgelöst von andern, nicht getrennt für sich auf-

trete; denn mag jene Gezweiung noch so vermittelt sein, eine Ge-

zweiung und Bindung bleibt sie immer. Es ist dafür gesorgt, daß

nichts in der Welt entstehen könne, was nicht anderen Wesen ange-

1

Vgl. meine Gesellschaftslehre, 3. Aufl., Leipzig 1930, S. 113 ff. und oben

S. 44 f.

2

Die Sonderstellung der „ A b g e s c h i e d e n h e i t “ soll hier nicht näher

behandelt werden. Sie ergibt sich aus dem Begriffe von selbst. — Vgl. meine

Bücher: Gesellschaftslehre, 3. Aufl., Leipzig 1930, S. 184 ff.; Kategorienlehre,

2. Aufl., Jena 1939, S. 257 ff.

3

Vgl. die genaue Darlegung in meinem Buch: Gesellschaftslehre, 3. Aufl.,

Leipzig 1930, S. 132 ff. (gegenseitiges Geben und Nehmen).