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(und sei es in noch so langwieriger Kette von Vermittlungen) her-
beiziehen, er kann sich „vertiefen“, und damit sogar seine innere
Richtung ändern. Im Mittelpunkte solcher echter Lebenskunst steht
die innere Sammlung, die „Konzentration“
1
. Hier ist nicht etwa
von einer handfertigkeitsmäßigen Übung äußerer Geschicklichkei-
ten, nicht von Kenntnisansammlung und so weiter die Rede. Son-
dern von jener inneren Sammlung, die zugleich innere Läuterung
und Vertiefung in sich schließt. „Läuterung“, „Vertiefung“ heißt
aber: Veredelung des Erschaffenwerdens, heißt Erweiterung des Fel-
des jener Eingebungen, die bisher den Geistesgrund bildeten. Auf
religiösem Gebiete sind hierfür die verschiedenen Anleitungen zu
einer in immer höhere Höhen führenden Betrachtungs- und Gebets-
weise lehrreich, wie sie schon von alters her bestanden
2
, wie sie aber
in den berühmten „Exerzitien“ des hl. Ignatius von Loyola die voll-
kommenste Gestalt erreichten; in welcher Form / sie allgemein zur
Geltung gelangten und auch in jüngster Zeit verstanden und geübt
werden. Die Jogalehre der Inder, die Lehre von den drei Wegen der
Mystiker aller Zeiten, des W e g e s d e r L ä u t e r u n g , d e r
E r l e u c h t u n g u n d d e r E i n i g u n g (der Via purgativa, der
Via illuminativa und der Via unitiva), die Abgeschiedenheitslehre
Meister Eckeharts: sie alle lehren dasselbe, daß man durch innere
Vertiefung die Einsprechung und Erleuchtung wenn nicht herbei-
führen, so doch sich dafür zubereiten könne.
Ihr Grundsatz ist zuletzt überall einer und derselbe: das L e e r -
s e i n von den Dingen, die schrittweise Ausleerung der Seele von
den entgegenstrebenden Inhalten; und ihre E r f ü l l u n g mit
jenen Inhalten, die herbeigezogen, die als Eingebung ersehnt wer-
den, soll erreicht werden. „Soll Gott eingehen (in die Seele), so muß
die Kreatur ausgehen“
3
— so hat Meister Eckehart diesen Grund-
1
Einiges, was sich als Anleitung zur wissenschaftlichen Beflissenheit schickt,
stellte ich in meinem Buch: Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre auf lehr-
geschichtlicher Grundlage, 27. Aufl., Graz 1967, S. 266 f. (= Gesamtausgabe
Othmar Spann, Bd 2), dar. Es gilt in sinngemäßer Weise auch für jede andere
innere Arbeit des Menschen an ihm selbst.
2
Ich erinnere an die Anleitung der hl. Gertrud der Großen von Helfta
(geboren 1256): Geistliche Übungen, deutsch von Franz Wolter, Kevelaer 1925. —
Die geistlichen Übungen des hl. Ignatius von Loyola, aus dem Spanischen von
Alfred Feder, SJ., 2. Aufl., Regensburg 1922.
3
Meister Eckhart, herausgegeben von Franz Pfeiffer, 2. Aufl., Göttingen
1906, S. 12, Zeile 9.