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[256/257]

Betrachtet man die assoziationspsychologischen Schulen darauf-

hin, so findet man, daß es für sie zuletzt überhaupt nur die Nach-

bilder sinnlicher Eindrücke, also „Vorstellungen“ gibt, durch deren

Gefühlsbetontheit auch ein angeblicher Bewegungsmechanismus der

Vorstellungen entstehen soll, der, als scheinbarer „Wille“, dadurch

in Bewegung gesetzt werden soll, daß die Gefühlsgewichte der Vor-

stellungen (Lust und Unlust) diesen „Willen“ bestimmen. — Die

seit Johann Nicolaus Tetens und Kant übliche Einteilung in „Vor-

stellung, Gefühl und Wille“ blieb bei diesem grundsätzlichen Intel-

lektualismus nur an der Oberfläche. Sie ist aber auch sonst un-

brauchbar (worüber später mehr zu sagen sein wird

1

).

Franz Brentanos Einteilung der seelischen Erscheinungen überwand im Grunde

diesen grundsätzlichen Fehler nicht. Denn wenn er den Vorstellungen die Urteile

und die Gemütsbewegungen selbständig zur Seite stellt, jene als anerkennendes

und verwerfendes Verhalten, diese als Vorziehen (Liebe und Haß) bestimmt

2

;

so bleibt er doch grundsätzlich noch in der Einteilung: Vorstellen und Wollen

befangen, da „Anerkennen und Verwerfen“ ebenso wie das „Vorziehen“ Wil-

lensakte sind. — Am ehesten hat noch Carl Stumpf

3

durch seine Unterscheidung

von seelischen „Erscheinungen, Funktionen (Tätigkeiten), Verhältnissen und Ge-

bilden“, die herkömmliche Einteilung zu überwinden gesucht. Jedoch ist seine

Anregung, die Oswald Külpe und seine Schule sachlich in der sogenannten

„D e n k p s y c h o l o g i e “ aufnahmen, in der Systematik, keiner Weiterverfol-

gung fähig. — Im übrigen haben wir keinen Anlaß, auf die gärenden Zustände

von heute einzugehen

4

.

/

Eine tiefergehende Änderung war dagegen in der Kantischen Un-

terscheidung einer theoretischen und praktischen oder zweckbe-

stimmenden Vernunft angebahnt. Diese hätte zur Rückkehr zur

Aristotelischen Psychologie führen können, welche Erkenntnis und

Wille als die Grunderscheinungen bestimmte, wäre nicht durch die

„Urteilskraft“, die schließlich psychologisch auf das Gefühl hinwies,

wieder die alte Dreiteilung begünstigt worden.

In der nachkantischen Seelenlehre wurden leider die bei Kant

gegebenen Ansätze nicht fortgebildet. Die Fichtesche Setzungslehre

1

Siehe unten S. 287.

2

Franz Brentano: Psychologie vom empirischen Standpunkt, herausgegeben

von Oskar Kraus, Bd 1, Leipzig 1924 (= Philosophische Bibliothek, Bd 192).

3

Carl Stumpf: Erscheinungen und psychische Funktionen, Abhandlungen

der Berliner Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse, Ber-

lin 1906.

4

Vgl. Erich Jaensch: Die Psychologie in Deutschland, in: Jahrbücher der

Philosophie, herausgegeben von Willy Moog, Jg 3, Berlin 1927.