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Betrachtet man die assoziationspsychologischen Schulen darauf-
hin, so findet man, daß es für sie zuletzt überhaupt nur die Nach-
bilder sinnlicher Eindrücke, also „Vorstellungen“ gibt, durch deren
Gefühlsbetontheit auch ein angeblicher Bewegungsmechanismus der
Vorstellungen entstehen soll, der, als scheinbarer „Wille“, dadurch
in Bewegung gesetzt werden soll, daß die Gefühlsgewichte der Vor-
stellungen (Lust und Unlust) diesen „Willen“ bestimmen. — Die
seit Johann Nicolaus Tetens und Kant übliche Einteilung in „Vor-
stellung, Gefühl und Wille“ blieb bei diesem grundsätzlichen Intel-
lektualismus nur an der Oberfläche. Sie ist aber auch sonst un-
brauchbar (worüber später mehr zu sagen sein wird
1
).
Franz Brentanos Einteilung der seelischen Erscheinungen überwand im Grunde
diesen grundsätzlichen Fehler nicht. Denn wenn er den Vorstellungen die Urteile
und die Gemütsbewegungen selbständig zur Seite stellt, jene als anerkennendes
und verwerfendes Verhalten, diese als Vorziehen (Liebe und Haß) bestimmt
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so bleibt er doch grundsätzlich noch in der Einteilung: Vorstellen und Wollen
befangen, da „Anerkennen und Verwerfen“ ebenso wie das „Vorziehen“ Wil-
lensakte sind. — Am ehesten hat noch Carl Stumpf
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durch seine Unterscheidung
von seelischen „Erscheinungen, Funktionen (Tätigkeiten), Verhältnissen und Ge-
bilden“, die herkömmliche Einteilung zu überwinden gesucht. Jedoch ist seine
Anregung, die Oswald Külpe und seine Schule sachlich in der sogenannten
„D e n k p s y c h o l o g i e “ aufnahmen, in der Systematik, keiner Weiterverfol-
gung fähig. — Im übrigen haben wir keinen Anlaß, auf die gärenden Zustände
von heute einzugehen
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Eine tiefergehende Änderung war dagegen in der Kantischen Un-
terscheidung einer theoretischen und praktischen oder zweckbe-
stimmenden Vernunft angebahnt. Diese hätte zur Rückkehr zur
Aristotelischen Psychologie führen können, welche Erkenntnis und
Wille als die Grunderscheinungen bestimmte, wäre nicht durch die
„Urteilskraft“, die schließlich psychologisch auf das Gefühl hinwies,
wieder die alte Dreiteilung begünstigt worden.
In der nachkantischen Seelenlehre wurden leider die bei Kant
gegebenen Ansätze nicht fortgebildet. Die Fichtesche Setzungslehre
1
Siehe unten S. 287.
2
Franz Brentano: Psychologie vom empirischen Standpunkt, herausgegeben
von Oskar Kraus, Bd 1, Leipzig 1924 (= Philosophische Bibliothek, Bd 192).
3
Carl Stumpf: Erscheinungen und psychische Funktionen, Abhandlungen
der Berliner Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse, Ber-
lin 1906.
4
Vgl. Erich Jaensch: Die Psychologie in Deutschland, in: Jahrbücher der
Philosophie, herausgegeben von Willy Moog, Jg 3, Berlin 1927.