[257/258]
235
nämlich, welche meines Erachtens die Anfänge zu einem ganz neuen
Aufbau der Seelenkunde hätte bieten können (da die Setzung mit
der Spontaneität, dem ersten und höchsten Geistigen, beginnt, ohne
Rücksicht auf die Sinnesempfindung), erfuhr leider keine Weiter-
bildung in der Seelenlehre. Die romantische und die Hegelische
Seelenlehre
1
hinwider konnten ihre eigenen großartigen Neue-
rungen, besonders die Entdeckung des Vorbewußten
2
, hauptsäch-
lich dadurch nicht systematisch verwerten, daß sie in der Darstel-
lung immer wieder genetisch, nämlich mit der Sinnesempfindung,
begannen. Dennoch lag im Hinweis auf die grundlegende Stellung
der Traumerscheinungen, besonders durch den jüngeren Fichte, ein
gewaltiger Fortschritt, den aber die spätere empiristische Seelen-
lehre nicht erkannte. — Hegel, der Setzungslehre Fichtes folgend,
faßt einseitig das Wesen der Selbstsetzung des Ich nur in der Ent-
gegensetzung des Gegenstandes (Objektes), so daß das Wissen ganz
in den Vordergrund trat, der Geist wesentlich Denken, Wissen
wurde und dadurch der Intellektualismus der Assoziationspsycholo-
gie mittelbar wieder Nahrung empfing, mittelbar auch in seiner
Systematik gekräftigt wurde. Daß andererseits Hegels dialektisches
Verfahren von sich selbst aus zur Begründung einer gesunden und
durchgreifenden Systematik / nicht fähig war, braucht heute nicht
auseinandergesetzt zu werden. Trotz aller großartigen Geistesblitze,
wie sie in der „Enzyklopädie“ und „Phänomenologie“ Hegels auf-
leuchten (und zum Beispiel in Johann Eduard Erdmanns oben an-
geführter „Psychologie“ verwertet wurden), konnte es zu einer
fruchtbaren Systematik nicht kommen.
Vom ganzheitlichen Standpunkte aus ist aber die entscheidende
Bedeutung der Aufgabe, der Seelen- und Geisteslehre eine wesens-
gemäße Systematik zu geben, offenbar. Wer das einschnürende Band
der Einteilung in „Vorstellen, Fühlen und Wollen“ oder auch der
aristotelischen in „Erkennen und Wollen“ nicht zu sprengen ver-
mag, kann eine tiefere Neugestaltung der Seelenlehre niemals mit
Erfolg in Angriff nehmen.
Nach dem bisherigen Gange unserer Untersuchungen ist die Aus-
gliederungsordnung des Geistes und damit die Systematik der sub-
1
Ihre Hauptwerke siehe oben S. 209 f.
2
Siehe oben S. 208 f.