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Denn das Du wird nicht gleichsam mit dem Fernrohr betrachtet (als etwas
Äußerliches), sondern ist Glied der Gezweiung, ist Sein gebend für das Ich. Es
ist nicht gleichgültig, sondern entscheidend, daß dieses Nicht-Ich kein Gegenstand,
kein „Objekt“ schlechthin ist, sondern ein „Du“!
Im Ich : Ich-Verhältnis liegt ein Mehrfaches beschlossen: (1) eine
Hingebung des Ich, denn ohne Hingegebenheit ist Gezweiung un-
möglich
1
; (2) liegt / darin auch, wie wir schon früher erkannten,
ein G e w u ß t w e r d e n des Ich vom Andern. Beides, Gewußt-
werden wie Hingegebenheit, heißt aber: (3) Enthaltensein sowohl
des einen wie des anderen Ichs in einem Uberindividuellen, Höhe-
ren, vermittelt durch die Gezweiung. „Gezweiung“ besagt ja nichts
anderes, als daß beide, das Ich wie das Du in einem gemeinsamen
Ganzen Glieder sind. Dieses höhere Ganze ist ein Überindividuelles
in Gesellschaft, Staat usw., ist der objektive Geist. — Im „Enthal-
tensein“ sind die „Hingebung“ und die „Gewußtheit“ gleicherma-
ßen vereinigt.
Wenn demnach der erste Schritt der Selbstverwirklichung des Ich
in der Form des Gliedwerdens oder, was dasselbe ist, des Enthal-
tenseins in einem höheren Ganzen vermittels der Gezweiung ge-
schieht, so ist das nicht etwa nur eine Angelegenheit des objekti-
ven Geistes. Es ist nicht nur eine Angelegenheit der Gesellschafts-
lehre, daß jeder subjektive Geist als Glied im Ganzen des überindi-
viduellen Geistes enthalten ist; es ist auch eine Angelegenheit der
Seelenlehre, und zwar eine entscheidende. Denn die Gliedhaftigkeit,
die Hingabe des Geistes in der Gezweiung durchtränkt die sämt-
lichen geistigen Erscheinungen und gibt ihnen eine besondere Ar-
tung. Enthaltensein und Enthalten (denn beides liegt in der Ge-
zweiung) heißt ja Gewußtwerden durch den Gezweiten und Wissen
von ihm; es heißt Hingegebensein an ihn und Aufnehmen seines
Innern in sich; heißt Verstandenwerden und Verstehen; heißt
Empfundenwerden und Mitempfinden; heißt Grundmadien für
den Gezweiten und gründen in ihm; heißt Durchdrungen werden
und Durchdringen. Durch Hingabe wird der Mensch zum Spiegel
des Menschen (nicht aber durch Denken des Gegenstandes zum Spie-
gel des Gegenstandes). Dadurch verleiht Gezweiung geistigen Ab-
1
Dies liegt auch in dem Begriffe der Mittewendigkeit, der aus dem Ent-
haltensein in der Gezweiung folgt. — Vgl. oben S. 44 f. und 224 f. sowie meine
Kategorienlehre, 2. Aufl., Jena 1939, S. 260 ff.