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glanz, der zur Erscheinung kommt als Mitfühlsamkeit, Verstehsam-

keit, Kundbarkeit, seelische Durchdringlichkeit, Zwielebendigkeit.

Sie kommt als U r b e s c h a f f e n h e i t a l l e n / T ä t i g -

k e i t e n u n d E r s c h e i n u n g s f o r m e n d e s G e i s t e s

z u, sie begleitet ihn in allen seinen Äußerungen.

Die bisherige Seelenlehre hat für diese Grundhaltung, für diese

Urbeschaffenheit, dieses U r b e w u ß t s e i n v o m a n d e r n

I c h ,

d a s

v o r

d e m

G e g e n s t a n d s b e w u ß t s e i n

s t e h t , nicht einmal eine Bezeichnung geprägt. Wir nennen es: gei-

stige Liebeskraft oder Gezweiungsbewußtsein. In ihm ist „Gemüt“,

sind Herzensfülle, natürliche Herzenskunde, Herzinnigkeit enthal-

ten. Der Silberblick der Gezweiung verleiht Herzinnigkeit.

„Liebe“ wäre die naheliegende, aber nicht genaue Bezeichnung, da ja erstens

audi andere Mitgefühle, wie Mitleid, Abscheu, Haß, Rache in den Umkreis des

Gezweiungswissens fallen, und da es sich zweitens hier gar nicht um die Ge-

zweiungsgefühle selbst (dem Inhalte nach) handelt, sondern um jene Urbeschaf-

fenheit, die der Geist infolge der Gezweitheit jedes seiner Elemente erlangt und

die ihm selbst erst Fülle, Innigkeit, Glanz des eigenen Herzens verleiht

1

.

Gegenstandswissen verleiht noch nicht Herzensfülle, erst die

Gliedschaft in innigen und vielfältigen Gezweiungen weckt und

bildet das menschliche Herz. Diese Grundbeschaffenheit ist in der

Gliedschaftskraft und Teilnahmefähigkeit für die Gezweiung gege-

ben: die innere Tiefe, die der Geist damit erhält, gleichsam der

innere Glanz, der ihn in seinem eigensten Tun überall begleitet,

äußert sich als Innigkeit. Erst durch H i n g a b e in der Gezwei-

ung gewinnt der Mensch Herz, Gemüt.

Die Gezweiung also erweckt nicht nur den denkenden und han-

delnden Geist und führt ihm dadurch mittelbar die Gegenstands-

inhalte zu; sondern solche Entsiegelung und Erweckung verleiht

ihm zugleich eine andere, rein menschliche Fülle, Aufgeschlossenheit

für die Seele des Andern, den Abglanz von der Seele des Andern, die

Liebestiefe. Den umgekehrten Fall zeigt U n d i n e . Sie hat keine

Seele, wie die Sage erzählt. Ihr fehlt die Selbstvergessenheit in der

Hingabe an den Andern, ihr fehlt das hingebende und mitverste-

hende Bewußtsein, die Liebesaufge- / lockertheit und Innigkeit des

Herzens. Denn „Innigkeit“ oder Gezweiungsbewußtsein hat der

1

Vgl. unten S. 278 ff.