[268/269/270]
245
nen Ich liegendes einseitig Tätiges, der willfährig und demütig
aufnehmende menschliche Geist als rein empfänglich, erleidend. /
B. R ü c k b l i c k
Die klare Bestimmung des Denkens als Selbstunterscheidung des
Setzenden von dem Gesetzten und damit als ein Ich : Gegenstand-
Verhältnis begründend stammt aus der S e t z u n g s l e h r e F i c h -
t e s, wenn sie gleichwohl schon in den Denklehren der Alten nicht
fehlt. Die weitere wesentliche Bestimmung des Denkens als Selbst-
setzung oder Spontaneität — A r i s t o t e l e s :
voύς
ποιητιχός,
S c h o l a s t i k e r : intellectus agens, K a n t : transzendentale
Apperzeption, F i c h t e b i s H e g e l : Selbstsetzung — wurde
im obigen nicht besonders hervorgehoben, versteht sich aber nach
den früheren Ausführungen von selbst. Die Selbstsetzung gehört
nicht nur dem Denken, sie gehört jeder Ausgliederungstätigkeit des
Geistes an.
Dagegen ist jener Gedanke der Fichteschen Setzungslehre, wonach das Ich :
Gegenstand-Verhältnis die Setzung allein beherrsche und erschöpfe, nicht zutref-
fend. Es sind in der Setzung, wie wir sahen, auch noch andere wesentliche Verhält-
nisse enthalten und sogar solche, die vor dem Wissen den Vorrang haben (die Ge-
zweiung). Die falsche Lehre von dem alleinigen Vorhandensein des Ich : Gegen-
stand-Verhältnisses in der Setzung war es gerade, welche verhängnisvoll wirkte.
Sie führte einerseits zum R a t i o n a l i s m u s , da nun nichts anderes als das
Wissen im Geiste enthalten war, und andererseits war sie in der Psychologie
nicht wahrhaft fruchtbar zu machen. Dieser Umstand war es vornehmlich, soweit
ich es sehen kann, welcher die so bedeutend angelegte und aufstrebende Hegelische
Psychologie (man vergleiche zum Beispiel die Lehrbücher von Johann Eduard
Erdmann
1
und von Carl Rosenkranz
2
) nicht zur Entfaltung und zum Siege
über die Assoziationspsychologie kommen ließ.
In dem Ich : Gegenstand-Verhältnisse liegt keineswegs eine Leere. Das Wissen
ist keineswegs etwas Kaltes und Fühlloses. D a v o r b e w a h r t d i e i n t u i -
t i v e G r u n d l a g e . Man soll nie vergessen, daß auch dem zerlegenden Den-
ken, dem Begriffe, eine Schauung zugrunde liegt! Das Tieflebendige der Wahr-
heit muß gefühlt werden, das Tieflebendige, / Geschaute, das der Wahrheit
zugrunde liegt, muß auch in den Ableitungen und Schlüssen festgehalten werden
und wach bleiben. Wenn die Wissenschaft als bloß f o r m a l , als nicht le-
b e n s k r ä f t i g so oft herabgesetzt wird, so kommt dies zuerst von dem unend-
1
Johann Eduard Erdmann: Grundriß der Psychologie, 4. Aufl., Leipzig 1862.
2
Carl Rosenkranz: Psychologie oder die Wissenschaft vom subjektiven Geiste,
3. Aufl., Königsberg 1863.