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7.
Insofern das Wissen in der Gezweiung erfolgt, hat der Füh-
rende in der Gezweiung den Vorrang. Die Begründung ist dieselbe
wie bei Satz 3. — Eine andere Formulierung dieses Satzes wäre:
Innerhalb des Wissens aus Gezweiung hat das tätige Wissen den
Vorrang vor dem erleidenden Wissen.
8.
Wissen ist vor Kunst
1
.
9.
Der höhere Geistesgrund hat den Vorrang vor dem niederen
Geistesgrunde (Triebe, innere Sinnlichkeit). Dieser Vorrang besteht
aber nur, insofern eine Entsprechung zwischen höherem und niede-
rem Geistesgrunde herrscht
2
; er besteht nicht, insofern das Leibes-
leben überhaupt in Frage kommt. Denn infolge der Gezweiung
höherer Ordnung des Geistes mit dem Leibe bringt das Leibliche
ein Ursprüngliches in das Seelenleben. Zwischen Ursprünglichem
(Geist) und Ursprünglichem (Stofflichkeit, umgeformt in Leib) be-
steht aber (in dieser Hinsicht des Nicht-voneinander-Abgeleitet-
seins) kein Vorrangverhältnis, sondern ein Verhältnis der G l e i c h -
u r s p r ü n g l i c h k e i t . — Darum gilt weiter: Sofern der nie-
dere Geistesgrund durch Gezweiung höherer Ordnung zwischen
Geist und Leib besteht, herrscht dem Gefüge nach Vorrang des
Geistes, dem Inhalte nach Gleichursprünglichkeit zwischen Geist
und Vitalität.
Der Vorrang des Geistes gegenüber dem Leibe besteht insofern, als in der
Gezweiung höherer Ordnung ebenso wie in jeder anderen Gezweiung der eine
Teil führend, der andere geführt sein muß. Der führende Teil ist zweifellos der
Geist. Darum betrifft dieser Vorrang nur das Gefüge (die Struktur) des niederen
Geistesgrundes oder der inneren Sinnlichkeit. — Zu dem Begriffe „Inhalt“ dieser
Gezweiung ist aber noch zu bemerken, daß dieser Inhalt keineswegs die nackte
Stofflichkeit / selber ist. Denn in der Gezweiung höherer Ordnung werden die
Seinsinhalte der Stofflichkeit (die immateriellen oder vorsinnlichen Wurzeln und
Wesenheiten des Stoffes) in dasjenige umgeformt, was wir als „Vitalität“ inner-
lich kennen und erfahren. In dieser Umformung liegt ein entschiedener Sieg
und Vorrang des Geistes, daher jene Gleichursprünglichkeit von vitalem Inhalte
und (höherem) Geistesinhalte noch diesen wesentlichen Abstrich zu erfahren hat,
daß in der „Vitalität“ selbst wieder der Vorrang des Geistes schon zur Geltung
gekommen ist.
Zu erinnern ist andererseits, daß sich die Gleichursprünglichkeit (in diesem
beschränkten Sinne) in leiblicher K r a n k h e i t zeigt, die nicht nur die innere
Sinnlichkeit von sich aus verändert (indem sie Stimmungen, Schmerzen, Emp-
findungen aller Art bedingt), sondern bis zur geistigen Störung, ja bis zum Wahn-
1
Siehe oben S. 257 f.
2
Siehe oben S. 263 f.
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